Sprengstoff
großziehen. Aber schließlich habe ich mich entschieden, das einzig Vernünftige zu tun. Das Vernünftige!« Sie lachte traurig. »Und dann habe ich es verloren.«
»Ja, das hast du«, murmelte er und wünschte insgeheim, daß sie sich über andere Dinge unterhalten könnten. Es war so, als öffnete man einen lange verschlossenen Schrank und müßte sich durch all den darin verborgenen Unrat wühlen.
»Aber ich bin glücklich mit dir gewesen, Bart.«
»Warst du das?« fragte er automatisch. Am liebsten wäre er davongelaufen. Die Sache mußte schiefgehen. Für ihn allemal.
»Ja. In einer Ehe geschieht etwas mit einer Frau, was einem Mann nie passiert. Kannst du dich noch daran erinnern, wie es war, als du ein Kind warst und dir nie über deine Eltern Gedanken gemacht hast. Du hast einfach erwartet, daß sie für dich da sind, und sie waren immer da, genauso wie das Essen und die Kleidung.«
»Ich glaube schon. Klar.«
»Und ich dumme Kuh hab’ mich schwängern lassen. Und für drei Tage hat sich mir eine völlig neue Welt eröffnet.« Sie beugte sich mit glänzenden Augen vor, und er stellte erschrocken fest, daß diese Erinnerungen wichtig für sie waren.
Das hatte für sie mehr Bedeutung gehabt als die Zusammenkünfte mit ihren kinderlosen Freundinnen oder die Entscheidung, welche Hose sie sich bei Banberry’s kaufen sollte, oder die Frage, welche Gäste Merv Griffin wohl heute abend in seiner Sendung vorführen würde. Hatte sie wirklich zwanzig Jahre ihrer Ehe mit diesem einen, wichtigen Gedanken verbracht? Hatte sie das? Sie hatte ja fast so etwas gesagt. Oh, mein Gott. Ihm wurde auf einmal übel. In seiner Erinnerung gefiel ihm das Bild von dem fröhlichen Mädchen, das triumphierend auf der anderen Straßenseite mit der gefundenen Pfandflasche winkt, viel besser.
»Ich habe mich plötzlich als unabhängigen Menschen gesehen«, fuhr sie fort. »Ich brauchte niemandem mehr etwas zu erklären, mich niemandem mehr unterzuordnen. Niemand war mehr da, der versuchen würde, mich zu ändern, denn ich glaube, ich war sehr leicht zu beeinflussen. In der Hinsicht war ich schon immer schwach. Aber andererseits wäre dann auch niemand mehr dagewesen, auf den ich mich hätte verlassen können, wenn ich mal krank wäre oder Angst hätte oder wenn’s mir schlecht ginge. Also habe ich mich für das Vernünftige entschieden. Wie meine Mutter und ihre Mutter und alle meine Freundinnen. Ich hatte es langsam satt, Brautjungfer zu spielen und immer wieder zu versuchen, den Brautstrauß einzufangen. Also sagte ich ja, wie du es erwartet hast, und alles war in Ordnung. Ich hatte keine Sorgen mehr, und als das Baby dann starb und danach Charlie, warst du immer für mich da. Und du warst gut zu mir.
Das weiß ich zu schätzen. Aber ich lebte in einer völlig abgeschlossenen Umgebung. Ich hörte auf zu denken. Ich glaubte zwar, daß ich nachdachte, aber das stimmte nicht. Und jetzt tut das Nachdenken weh. Es tut weh.« Sie sah ihn eine.Minute lang voller Ablehnung an, doch dann wurde ihr Gesicht weicher. »Ich bitte dich also, für mich mitzudenken, Bart. Was sollen wir jetzt tun?«
»Ich suche mir eine Arbeit«, log er.
»Eine Arbeit.«
»Und ich werde zu einem Psychiater gehen. Mary, es wird alles wieder gut, ehrlich. Ich war ein kleines bißchen aus der Bahn geworfen, aber jetzt ist es wieder gut. Ich werde …«
»Möchtest du, daß ich wieder zu dir nach Hause komme?«
»Klar, in ein paar Wochen. Ich muß mich nur noch ein bißchen fangen und dann …«
»Nach Hause? Wovon rede ich eigentlich? Sie reißen es ja bald ab. Was für ein Blödsinn - nach Hause!« Sie stöhnte auf.
»Oh, was für ein Durcheinander. Wie konntest du mich nur in so ein Durcheinander hineinziehen, Bart?«
Er konnte sie so nicht ertragen. Es war überhaupt nicht mehr die Mary, die er kannte. »Vielleicht reißen sie es ja gar nicht ab, Mary«, sagte er und langte über den Tisch, um ihre Hand zu nehmen. »Vielleicht ändern sie ihre Meinung doch noch, wenn ich zu ihnen gehe und die Sache noch mal durchspreche, wenn ich ihnen die Situation erkläre …«
Sie entriß ihm ihre Hand und starrte ihn entsetzt an.
»Bart«, flüsterte sie.
»Was ist?« fragte er unsicher. Was hatte er gesagt? Was konnte es, um Gottes willen, gewesen sein, daß sie auf einmal so furchtbar bleich aussah?
»Du weißt, daß sie das Haus abreißen werden. Du hast es schon sehr lange gewußt. Und jetzt sitzen wir hier und drehen uns immer wieder im Kreis, und
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