Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme
ausgesprochen, als tumultartige Geräusche zu hören waren. Zuerst war es nur ein Brüllen und ein Schreien, aber dann verwandelte sich unser Krankenhaus in ein Kriegsgebiet. Schüsse fielen.
Ein Gangmitglied stürmte in den Behandlungsraum.
»13 Boys!«, schrie er hektisch. »Im Wartezimmer!«
Reflexartig warf sich Maik V. auf den Boden und verbarrikadierte sich hinter der Liege.
»Was ist hier los?«, schrie ich und bekam es langsam aber sicher mit der Angst zu tun.
Natürlich gab mir niemand eine Antwort.
»Schwester Anna, auf den Boden!«, rief Dr. H. mir zu und riss mich im gleichen Moment hinunter. Weitere Schüsse waren zu hören.
Es waren nur zehn Minuten, die ich auf dem Boden des Behandlungsraumes verbrachte, doch für mich fühlte es sich an wie Stunden, bis ich endlich das erlösende Geheul der Polizeisirenen hörte.
Mindestens zwanzig Beamte stürmten in die Notaufnahme und bereiteten dem Wildwestspiel ein Ende. Bis auf Maik V., der aufgrund seiner Verletzung bei uns bleiben musste, wurden alle Gangmitglieder verhaftet â egal ob 13 Boys oder the boyz oder welche Boys auch immer.
Aber was war eigentlich genau passiert?
Kurz nachdem Maik V. von seinen Kumpeln zu uns gebracht wurde, fuhr ein anderer Wagen vor dem Krankenhaus vor. In Begleitung von vier Freunden wurde Mehmet Ã. in die Notaufnahme gebracht. Bei der Flucht vor Maik V. war er umgeknickt und hatte sich einen Bänderriss zugezogen. Nachdem er an der Anmeldung alle Formalitäten erledigt hatte, betrat er ahnungslos mit seinen Freunden das Wartezimmer â und erblickte dort die ganze Mannschaft der nicht weniger überraschten boyz. Die fackelten nicht lange, und ehrlich gesagt war es ein Wunder, dass es keine weiteren Verletzten oder womöglich sogar Tote gab. Nur in der Tür vom Wartezimmer prangte ein groÃes Loch.
Der häuslichen Gewalt der beiden Gangs war für die nächsten zwei Jahre zum Glück ein Ende gesetzt worden. Denn das war die Dauer der durchschnittlichen Haftstrafe, die den ohnehin schon vorbestraften Gangmitgliedern aufgebrummt wurde.
So aufregend SchieÃereien in Film und Fernsehen auch sein mögen, im echten Leben sind sie furchtbar. Todesangst ist nämlich keineswegs aufregend, sondern einfach nur schrecklich.
***
Jetzt möchte ich Ihnen noch eine Geschichte über eine völlig andere Form von Gewalt erzählen. Eine Gewalt, die leider tagtäglich stattfindet und die die meisten von uns gar nicht als solche wahrnehmen.
Es ist ein allgemein bekanntes Problem, dass wir in unserem Land nicht genügend Pflegekräfte haben. Gerade in Altenheimen sind die Pfleger häufig so überlastet, dass sie nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht. Ich habe durchaus Verständnis für meine Kolleginnen und Kollegen, dennoch bin ich der Meinung, dass man alle Patienten mit Respekt behandeln muss. Die Menschenwürde ist unantastbar â auch in einem Pflegeheim.
An einem Samstagnachmittag wurde der 96-Jährige Franz W. mit einem Rettungswagen zu uns in die Notaufnahme gebracht.
»Was ist passiert?«, fragte ich Frank, als er uns den Mann auf einer Liege hereinbrachte.
Frank zuckte nur mit den Achseln.
»Keine Ahnung. Er kommt aus dem Altenheim.«
»Und? Was haben die euch bei der Ãbergabe gesagt?«
»Pipi, Kacka, alles klar, sonst nix gut.«
Frank grinste mich breit an und zuckte wieder mit den Schultern.
»Wie bitte?«
Ich dachte, er wollte mich veräppeln. Irrtum.
»Das war der Wortlaut der Schwester. Mehr hat sie nicht gesagt.«
Pippi, Kacka, alles klar, sonst nix gut â ich konnte es nicht fassen. Was war denn das bitte für eine Diagnose?
Der demente, alte Mann war nicht selbst in der Lage, Auskunft über seinen Gesundheitszustand zu geben. Also begann ich mit dem Untersuchungsmarathon: Blut abnehmen, EKG schreiben, Sauerstoffsättigung, Puls â das volle Programm. Aber wir konnten nichts bei dem alten Herrn feststellen. Für seine 96 Jahre war er in einer erstaunlich guten Verfassung. Nur sein Geisteszustand lieà zu wünschen übrig, aber auch das war in dem Alter nicht ungewöhnlich.
Hatten wir womöglich etwas übersehen? Ratlos rief ich in dem Altenheim an.
»Es geht um den Patienten Franz W. Warum haben Sie ihn zu uns bringen lassen?«, erkundigte ich mich bei der Pflegeleiterin.
»Ich verbinde Sie mit der Stationsleitung«, bekam ich zur
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