Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme
nicht fassen.
»Tut mir leid«, sagte der Beamte am Telefon zu mir, dem Sabine L. und ihre Vergewaltigungsgeschichten bereits bekannt waren. »Aber wer hundertmal lügt kann beim hundertundersten Mal trotzdem die Wahrheit sagen. Wir müssen der Sache nachgehen.«
Ich musste also aufs Präsidium, um eine Zeugenaussage zu machen, Sabine L. wurde untersucht, und der völlig überraschte Matrose sowie die des Deutschen kaum mächtigen Clowns wurden vernommen.
Eine Vergewaltigung konnte schnell ausgeschlossen werden.
Als ich die Wache verlieÃ, fragte ich einen der Polizisten, was ich denn machen sollte, wenn Sabine L. in ein paar Wochen wieder betrunken bei uns auftauchen und uns ihre Vergewaltigungsstory servieren würde.
»Dann müssen wir der Sache erneut nachgehen«, seufzte der Beamte. »Wie gesagt, es besteht immerhin die Möglichkeit, dass es irgendwann tatsächlich stimmt.«
Ich schüttelte genervt den Kopf.
»Aber das Problem ist doch der Alkohol! Die Frau ist schwere Alkoholikerin! Die muss in den Entzug, sonst steht sie doch bald wieder bei uns vor der Tür!«
Der Polizist nickte.
»Ja. Aber was will man machen? Alkoholiker zu sein ist nicht verboten. Und wenn sie das nicht selbst einsieht, sind uns die Hände gebunden. In unserem Land hat jeder das Recht, so viel zu saufen, wie er will.«
Das tat Sabine L. â Karneval war keine zwei Wochen vorbei, da tauchte sie in ihrer berüchtigten Verfassung wieder bei uns auf.
Bis heute kommt sie in regelmäÃigen Abständen zu uns in die Notaufnahme.
Und immer erzählt sie die gleiche Geschichte.
Zum Glück stimmte sie nie.
***
Für Sabine L. hatte der Karneval keine besondere Bedeutung. Sie war eine der wenigen Patientinnen, die unverkleidet bei uns erschienen. Sonst waren nahezu alle Patienten kostümiert. So verhält es sich schlieÃlich in ganz Köln, und viele Leute basteln vorher wochenlang an ihrem Outfit.
Auch Farid G. trug ein originelles Kostüm. Er war als Schneemann verkleidet, steckte in einem weiÃen Anzug und einem ebenso weiÃen Kopfputz und hatte sich eine Mohrrübenattrappe an die Nase geklebt.
Das war sehr stimmungsvoll.
Weniger stimmungsvoll war indes das Messer, das in seinem Bauch steckte. Und natürlich das viele Blut, das langsam in sein weiÃes Kostüm sickerte.
Als er zu uns in die Notaufnahme kam, war er ansprechbar und sein Zustand war nicht lebensbedrohlich.
Karneval kommt es immer wieder zu Schlägereien und Messerstechereien. BekanntermaÃen macht der exzessive Gebrauch von Alkohol viele Menschen aggressiv. Seitdem im Kölner StraÃenkarneval nur noch aus Pappbechern getrunken werden darf, ist es mit den Verletzungen zwar etwas besser geworden (früher wurde dem Gegenüber durchaus mal eine Flasche Kölsch über den Kopf geschlagen, was mitunter tödlich endete), aber ein Hauen und Stechen ist es in weiten Teilen natürlich immer noch geblieben.
Insofern fiel Farid G. an diesem Karnevalstag gar nicht weiter auf. Hätte er sich nur nicht so verflucht auffällig benommen.
»Wie ist das passiert?«, fragte ich ihn, während ich ihm vorsichtig sein Schneemannkostüm aufschnitt.
»Oh, ganz dumme Geschichte«, stöhnte er und schwieg.
Ich sah ihn erwartungsvoll an.
»Dass es dumm gelaufen ist, ist mir klar. Aber wie ist es passiert?«
»Ja ⦠also â¦Â«
Dann schwieg er erneut.
Ich wartete noch einen Moment, doch der Mann blieb still.
»Hören Sie, ich muss wissen, wie es passiert ist. Nur so kann ich das Infektionsrisiko richtig einschätzen. Also?«
In seinem Kopf schien es fieberhaft zu arbeiten.
»Hm ⦠ja, also, ich saà gerade mit meiner Familie am Abendbrottisch und wollte mir die Butter nehmen. Die stand am anderen Ende des Tischs, und deshalb habe ich mich über den Tisch gebeugt, um sie zu nehmen.«
Erstaunt sah ich ihn an. Jetzt war ich doch sehr gespannt, wie DIE Geschichte weiterging.
»Ja, und dann hat mein kleiner Sohn leider genau in dem Moment das Käsemesser durch die Ritze des Tisches gesteckt â¦Â«
Ungläubig starrte ich auf das Butterfly-Taschenmesser, das in seinem Bauch steckte.
»Das KÃSEMESSER ?«
»Ja â¦Â«
Räusper.
»Das ist unser Käsemesser. Leider steckte er es so unglücklich durch die Ritze, dass es in meinem Bauch landete. Tja.«
Ich war sprachlos.
»Meinen Sie das
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