Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme
zu uns kommen â und die kommen übrigens aus allen Schichten. Ich hatte sowohl die Millionärsgattin mit aufgeplatzter Augenbraue vor mir sitzen als auch die verprügelte Gefährtin eines Obdachlosen. Gewalt hat rein gar nichts mit gesellschaftlichem Status zu tun.
Was mich über all die Jahre am meisten erstaunt hat: Es ist eher die Ausnahme, dass die Betroffenen ihren schlagenden Partner verlassen. Sie glauben nicht, wie oft ich mir schon den Mund fusselig geredet habe, um eine grün und blau geschlagene Frau davon zu überzeugen, ihren Mann zu verlassen und ins Frauenhaus zu gehen. »Ihm tat es mehr weh als mir« â mit diesem Grundsatz scheinen sie die Schläge immer weiter auszuhalten. Manchmal so lange, bis es zu spät ist.
Frauen stellen zwar den Hauptteil der Opfer von häuslicher Gewalt dar. Doch nicht nur sie werden von ihren Partnern geschlagen.
Rolf-Dieter W. ist das beste Beispiel dafür, dass es auch Männer treffen kann.
Er kam mit zwei gebrochenen Rippen, einer angebrochenen Nase, einer aufgeplatzten Lippe und zahlreichen Hämatomen am ganzen Körper zu uns. Auf den ersten Blick war mir klar, dass der fast 60-Jährige Mann Opfer einer Schlägerei geworden war. Wer macht bloà so etwas? Wer verprügelt bitte einen älteren Herrn?
»Wie ist das passiert?«, fragte ich und versuchte dabei, sein Gesicht vorsichtig von dem Blut zu reinigen.
»Ich hatte Ãrger«, erklärte Herr W. zögerlich.
»Das sehe ich. Wie viele waren es?«
Ich vermutete, dass er einer dieser Klau-Banden in die Hände gefallen war, die zurzeit die Innenstadt unsicher machten.
»Das tut nichts zur Sache«, wich Rolf-Dieter W. aus.
Ãberrascht sah ich ihn an. Wen wollte er hier schützen? Kannte er die Täter womöglich?
»Wir müssen wissen, wie es passiert ist«, erklärte ich ihm. »Wir müssen wissen, ob Sie auch getreten oder mit Gegenständen geschlagen wurden. Das ist wichtig, damit wir keine Verletzung übersehen.«
Wäre Rolf-Dieter W. beispielsweise mit einem Ast vermöbelt worden, müssten wir seinen Körper auch nach Splittern absuchen.
»Nein. Es waren nur ihre Hände und Fäuste.«
»Ihre?«
Herr W. räusperte sich und zögerte einen Moment. Dann sagte er leise: »Ich hatte Stress mit meiner Frau.«
»Stress?«, entfuhr es mir erstaunt. »Sie habe eine gebrochene Nase! Von den Rippen will ich gar nicht sprechen â was war das denn für ein Stress??«
Der Mann zuckte mit den Achseln.
»Die Biene war schon immer sehr temperamentvoll«, sagte er nur.
Die Biene schien mir eher eine Kampfhornisse zu sein.
»Ihre Frau muss ja geradezu auf Sie eingedroschen haben!«
»Sie war sauer. Ja, heute war sie wirklich sauer«, begann er zu erzählen. »Das war aber auch meine Schuld. Von Anfang an lief heute alles schief. Es fing schon mit dem Kaffeepulver an. Ich hatte meine Brille nicht auf und hab die Dosen verwechselt. Aus Versehen hab ich dann Kakao in die Maschine getan.«
Oh Gott, dachte ich nur. Dafür hat der arme Mann vermutlich die erste Ohrfeige des Tages kassiert.
»Und so ging es dann den ganzen Tag weiter. Ich hatte ihren Lieblingspulli versehentlich in die 60-Grad-Wäsche geworfen, und dann hatte ich auch noch vergessen, für unsere Nachbarin ein Geschenk zu besorgen, obwohl die Biene da doch heute Nachmittag eingeladen ist. Tja, und als ich dann die Kristallvase fallen lieÃ, ist meine Frau halt ausgerastet. Konnte ich ja irgendwie verstehen â¦Â«, murmelte er leise.
Natürlich sind mir in meinem Berufsleben schon häufiger Fälle von häuslicher Gewalt untergekommen, in denen Männer die Opfer waren. Aber in der Regel sahen die ganz anders aus als Rolf-Dieter W. Ich erinnerte mich gut an den Fall eines schmalen, kleinen Mannes, der die siebzig weit überschritten hatte. RegelmäÃig schlug ihn seine matronenhafte, groÃe und muskulöse, und vor allem zwanzig Jahre jüngere Frau grün und blau.
So ein hilfloser Kerl schien mir Rolf-Dieter W. aber nicht zu sein. Er war mindestens 1,85 Meter groÃ, wirkte sportlich, hatte breite Schultern und kräftige Hände. Warum lieà sich so ein Kerl von seiner Frau wegen ein paar Lappalien krankenhausreif schlagen?
»Warum haben Sie sich denn nicht gewehrt?«
Rolf-Dieter W. sah mich empört an.
»Ich schlag doch keine Frau!«, sagte er.
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