Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme
wollen die auch was von den »tollen Tagen« haben und gönnen sich dann schon mal eine extra Flasche Schnaps.
Einer dieser Leuten war Sabine L., die eindeutig zu den Stammgästen bei uns zählt.
Sabine L. hat die zwanzig gerade erst überschritten und ist eine Quartalssäuferin, wie sie im Buche steht. Das heiÃt, wenn sie eine Gelegenheit zum Trinken findet, dann trinkt sie grundsätzlich bis zur Bewusstlosigkeit. Karneval findet sich bekanntlich die ein oder andere Gelegenheit. Den Rest im Jahr allerdings auch.
Besudelt mit ihrem eigenen Erbrochenen und kaum mehr ansprechbar wird sie im Schnitt einmal pro Monat zu uns gebracht. Und dann spielt sich stets das gleiche Szenario ab.
Jedes Mal, wenn sie wieder das Bewusstsein erlangt, erzählt sie uns, dass sie vergewaltigt worden ist. Mal von einem Passanten, mal vom Rettungssani, mal von einem Kioskbesitzer.
Zum Glück stimmte es bisher nie â was unsere Gynäkologen schnell feststellen konnten â, aber sie behauptet es trotzdem wieder und wieder. Ich vermute, dass sie von einem schlimmen Kindheitstrauma geplagt wird, und als sie die ersten Male zu uns kam, tat sie mir auch wahnsinnig leid.
Aber eine Notaufnahme ist keine Psychiatrie, und wenn jemand zum zehnten Mal innerhalb von wenigen Monaten sturzbetrunken und voller Erbrochenem vor Ihnen liegt, dann hält man es irgendwann nicht mehr aus â auch wenn allen klar ist, dass dieses bedauernswerte, schwer alkoholkranke Mädchen ein ernstes psychisches Problem hat.
An einem Rosenmontag wurde Sabine L. wieder einmal zu uns gebracht. Es war am späten Nachmittag, der »Zoch« war gerade vorbei, und in die Notaufnahme wurden Alkoholleichen, Schnittwunden und Prügelopfer im Minutentakt gebracht.
Dann kam Sabine L..
Sie sah aus wie immer, die Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht, die Jacke war voller Erbrochenem, und sie war schwer angetrunken.
Da es um mich herum von blutenden Piraten und jammernden Teufelchen nur so wimmelte, überprüfte ich schnell Sabine L.s Zustand, und nachdem ich wusste, dass sie ansprechbar und »nur« volltrunken war, schafften wir sie erst mal ins Wartezimmer, wo zwei polnische Clowns und ein Matrose laut schnarchend auf den Sitzen lagen. Ich musste mich erst um ein paar Verletzte kümmern, bevor ich mich Sabine L.s Vollrausch widmen konnte.
Als ich gerade einem Funkenmariechen einen Verband umlegte, hörte ich Sabine L. schreien. Ich rannte zurück ins Wartezimmer, riss die Tür auf und erschrak.
Oben ohne sprang Sabine L. laut schreiend durch das Wartezimmer.
»Die haben mich vergewaltigt! Die haben mich vergewaltigt!«, schrie sie lallend und zeigte dabei auf die schlafenden Clowns.
Der betrunkene Matrose war inzwischen halbwegs wach geworden und bemühte sich gerade, in eine einigermaÃen aufrechte Position zu gelangen.
»Hey, Sie können sich doch hier nicht einfach ausziehen!«, sagte ich energisch.
»Die waren das! Die haben mich vergewaltigt!«, schrie Sabine L. nur.
Ich schaute auf die betrunkenen Männer, von denen zwei sich überhaupt nicht rührten und einer soeben vom Stuhl auf den Boden rutschte.
»Ziehen Sie sich wieder an«, meinte ich freundlich, aber bestimmt. »Ich mache noch schnell einen Verband fertig, dann komme ich zu Ihnen. Machen Sie sich keine Sorgen, hier passiert Ihnen nichts. Aber jetzt ziehen Sie sich bitte wieder an!«
Ich vergewisserte mich, dass Sabine L. ihre Klamotten zusammensuchte und sich maulend anzog. Dann eilte ich zurück in den Behandlungsraum.
Keine zehn Minuten und ein verbundenes Funkenmariechen später ging ich zurück ins Wartezimmer. Der Matrose schlief inzwischen auf dem Boden, während die beiden Clowns immer noch auf den Sitzen lagen.
Sabine L. war weg.
Einerseits machte ich mir Sorgen. Wo wollte die Frau in ihrem Zustand hin? Andererseits war sie oft genug in diesem Zustand und rannte trotzdem durch die StraÃen. Was konnte ich schon tun? Die Polizei informieren, dass eine betrunkene Frau das Krankenhaus verlassen hatte und nun durch Köln zog? An Rosenmontag? Die hätten mich vermutlich ausgelacht.
Tatsächlich rief mich die Polizei aber am gleichen Tag noch an. Sabine L. war zu ihnen auf die Wache gelangt und hatte dort ihre Vergewaltigungsgeschichte zum Besten gegeben. Zum krönenden Abschluss hatte sie noch behauptet, dass ich mir das ganze Verbrechen seelenruhig angeschaut hätte.
Ich konnte es
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