Spuk im Netz
den Rückspiegel heraus und schlug ihn gegen einen Pfosten des Hauses. Nach zwei oder drei Schlägen splitterte das Glas. Peter suchte eine Scherbe heraus und begann an Justus´ Fesseln herumzuschneiden.
»Schneller«, sagte Justus. »Schneller! Der Mond geht gleich unter!«
»Was hat denn der Mond mit uns zu tun?«
»Ich hoffe, dass er uns das Leben rettet, und zwar schnell.«
»Wieso?«, fragte Bob.
»Habt ihr es nicht gemerkt? Bleibt mal ganz still stehen.«
Sie erstarrten. Einen Moment standen sie reglos, auch Miss Bennett rührte sich nicht. Dann spürten sie es alle ganz deutlich. Unendlich langsam neigte sich eine Ecke des Hauses nach unten.
»O Gott«, murmelte Miss Bennett.
»Beeil dich, Peter!«
»Ja, ja! Schneide du mal mit zitternden Händen!« Verbissen sägte und raspelte Peter an dem Seil und achtete nicht darauf, dass er sich in die Finger schnitt. Justus zog die Hände auseinander, so weit er konnte, und ganz plötzlich riss das Seil.
»Die Scherbe, Peter, schnell!«
Justus entriss Peter die Scherbe und stürzte zum Fenster – und blieb nach dem zweiten Schritt abrupt stehen. Das Haus hatte sich unter seinem Gewicht noch weiter gesenkt.
»Geht zu Miss Bennett rüber«, sagte Justus. »Schneidet euch gegenseitig los.«
Peter und Bob nickten und bewegten sich vorsichtig mit kleinen Schritten zu der Ecke hin, in der Miss Bennett saß. Wie auf einer Wippe spürte Justus das Gegengewicht – nur hob es ihn nicht hoch. Stattdessen senkte sich die Ecke mit den dreien ebenfalls langsam ab.
»Los, Bob, hilf mir!«, rief Peter. »Wir reißen ein paar Planken aus dem Haus. Damit kommen wir auf den Weg zurück. Justus, was machst du da?«
»Ich morse.« Justus hatte jetzt das Fenster erreicht. Der Vollmond stand nur noch eine Handbreit über den Bergen und leuchtete ihm direkt ins Gesicht. Er hob die Hand mit der Spiegelscherbe und fing das Licht ein. Dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz. SOS. Und noch einmal.
Peter und Bob halfen Miss Bennett auf die Beine. Sie schwankte und streckte die Hand nach der Wand aus, um sich abzustützen, und brach mit einem Aufschrei durch das morsche Holz. In letzter Sekunde konnten Peter und Bob sie packen, bevor sie in den Sumpf stürzte.
»Himmel«, sagte Bob heiser. »Auf den Brettern laufen wir besser nicht herum.«
Es gab einen heftigen Ruck, und das Haus neigte sich noch weiter. Offenbar war einer der Tragpfosten gebrochen. Ein wenig brackiges Wasser schwappte über die Türschwelle. Wie hypnotisiert starrten Peter, Bob und Miss Bennett das Rinnsal an, das an der Schwelle entlanglief und sich in einer Ecke sammelte.Justus dagegen starrte die Spiegelscherbe an, die er fallen gelassen hatte. Ein paar Sekunden lang lag sie glitzernd draußen auf einem kleinen Polster aus Moos, dann war sie verschwunden. Schnell drehte er sich um, und das ganze Haus schwankte.
»Bleib stehen, Just!«, rief Bob. »Komm nicht hierrüber!«
»Ich finde es einfach nicht fair, dass ihr drei so viel wiegt wie ich«, sagte Justus erbittert.
»Stimmt ja auch nicht«, sagte Peter. »Aber darüber werden wir uns doch wohl jetzt nicht streiten? Wie kommen wir hier raus?«
»Wir warten auf Morton.«
»Morton? Bist du verrückt geworden? Der ist doch nie im Leben hier in der Nähe!«
»Wenn er es ist, hat er mein Signal gesehen«, sagte Justus unbeirrt. »Er kommt bestimmt.«
Das Rinnsal verbreiterte sich. Bald war es eine Pfütze. Draußen wurde es immer heller, und in der Dämmerung verblasste der Mond und versank hinter den Bergen. Das alte Haus ächzte und knarrte, und hin und wieder ging ein Ruck durch das ganze Gebäude, der den vier Gefangenen Todesangst einjagte.
Und Morton kam nicht.
Perseus
»Vielleicht können wir schwimmen?«, sagte Bob.
»Im Sumpf kannst du nicht schwimmen«, sagte Peter. »Da wirst du nach unten gezogen.«
Sie standen jetzt knietief im grünen Wasser, das nach Moder und Fäulnis stank. Die Sonne war aufgegangen und vertrieb die letzten Schatten der Dämmerung, und die vier konnten nicht nur ihre blassen Gesichter sehen, sondern auch an den Holzbrettern der Wände ablesen, wie das Wasser unaufhaltsam stieg.
»Und wenn wir ...« Miss Bennetts Stimme versagte, und sie setzte neu an. »Und wenn wir die morschen Bretter herausreißen und so schnell wie möglich darüber laufen?«
»Das klappt auch nicht«, sagte Justus, »weil sie entweder durchbrechen oder unter unserem Gewicht versinken würden.«
»Also gut«, sagte sie. »Dann bleibt nur
Weitere Kostenlose Bücher