Spur der Flammen. Roman
die Ehre, dieselbe Luft wie der Philantrop Philo Thibodeau atmen zu dürfen. Sie bewunderten ihn. Er hatte nicht nur einen ganzen Anbau für das St. Jude-Hospital gespendet, sondern auch noch eine hochmoderne Forschungsstelle zur Bekämpfung von Krebskrankheiten finanziert. Als sie sich nun von ihren Sitzen erhoben – die Frauen in ihren glitzernden Abendroben, die Männer im Frack –, um Philos bescheidener Dankesrede gebührend zu applaudieren, entging es ihrer Aufmerksamkeit, dass im hinteren Teil des Bankettsaals ein Gentleman vom Wachdienst des Hotels festgehalten wurde.
»Philo, du Teufelsbrut!«, schrie Ygael, aber seine Stimme ging in dem allgemeinen Lärm unter.
Indem er sich entschuldigend auf dem Podium verneigte, wo Politiker und Verwaltungsratsmitglieder des Hospitals gleichermaßen huldvoll lächelten und klatschten, schlängelte sich Philo davon, wobei er den Sicherheitsleuten mit einer Geste bedeutete, den aufgebrachten Ygael in ein privates Hinterzimmer zu bringen.
»Du spendest Krankenhäusern Geld, aber du stiehlst heilige Bücher. Du bist ein Pharisäer, Philo!«
Rossi trat einen Schritt näher.
»Alles in Ordnung«, erklärte Philo. »Lass uns bitte allein. Mein lieber Ygael, welchem Anlass verdanke ich diese Ehre?«
Zu seinem Frack trug Ygael Pomeranz die Kippa und den Gebetsschal. Er war achtundsechzig Jahre alt und ein Meister der Kabbala und des jüdischen Mystizismus. Von tiefem Glauben beseelt, hätte er es leicht zum Rabbiner bringen können, hätte er nur an die Existenz Gottes geglaubt. »Ich weiß, was du getan hast, Philo. Und frag mich nicht, wie ich dahinter gekommen bin.«
»Das hatte ich auch nicht vor«, erwiderte Philo ruhig.
»Du hast auf unlautere Art Dinge erworben. Und wie? Durch Diebstahl! Du hast mit Schmugglern, Grabräubern und Dieben gemeinsame Sache gemacht. Du hast mit Erpressung und Einschüchterung gearbeitet. Und das schon seit Jahren.« Die Furchen auf Ygaels Stirn vertieften sich. »Das ist unter deiner Würde, Philo.«
Ygaels Ahnenreihe reichte zurück bis zu einer Talmudschule aus dem sechsten Jahrhundert, und das allein machte ihn schon zu einem hoch angesehenen und mächtigen Mitglied der Gesellschaft.
Er war ein Mann, auf dessen Wort man hörte.
Dennoch war Philo nicht beunruhigt. Der Alte mochte sich noch so schlau vorkommen, von Philos Bomben wusste er garantiert nichts.
»Wirst du den anderen davon berichten?«
»Morgen findet die Hochzeit meiner Tochter statt.« Philo wusste das. Er hatte eine Einladung erhalten und abgesagt. »Ich werde morgen Abend eine außerordentliche Versammlung einberufen«, sagte Ygael. »Das hat es in der Geschichte unseres Ordens noch nie gegeben. Es gibt keinen Präzedenzfall. Wir können dich nicht aus der Gemeinschaft ausschließen, aber wir werden ab sofort jeden deiner Schritte überwachen. Und wir werden die gestohlenen Schätze an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückgeben.«
»Und damit die Existenz unserer Gesellschaft preisgeben?«
»Es gibt Mittel und Wege. François Orléans …«
Ihr Mann bei Interpol, dessen Abstammung bis auf die Herzogin von Narbonne im zwölften Jahrhundert zurückging. »Hast du es ihm gesagt?«
»Ich werde es morgen tun. Nachdem ich meiner Tochter und ihrem Ehemann den Segen gegeben habe.«
Unbeeindruckt erhob sich Philo aus seinem Sessel und trat auf den Mann zu. »Mein teurer Freund, ich bin aufrichtig bestürzt. Du bist einem Irrtum oder womöglich einer Übertreibung aufgesessen. Was mich besonders betrübt, ist die Tatsache, dass all dies meinem Ruf schaden kann. Ich habe Feinde, das gebe ich gerne zu. Welcher reiche Mann hat die nicht? Aber was mich am meisten betrübt, ist, dass du, mein teurer Freund, solchen Kummer leidest. Das bricht mir beinahe das Herz.«
Er legte dem alten Mann die Hände auf die Schultern und schaute ihm in die Augen. »Ygael, du bist und bleibst mein Bruder.
Ich würde mir lieber den rechten Arm abhacken, als dich leiden zu sehen, und im Namen des Ordens zu stehlen, würde genau dies bedeuten. Es gibt für alles, was du gehört hast, eine Erklärung. Vor allem aber wünsche ich mir, dass deine Seele wieder Frieden findet. Stimmst du mir darin zu?«
Ygael war wie gebannt von Philos Blick, seiner einschmeichelnden Stimme, seinem Zauber. »Ich mochte meinen Ohren nicht trauen«, sagte er, und seine Stimme klang nun viel unsicherer. »Ich sagte, nein, das ist unter Philos Würde, aber dann legten sie mir Beweise vor …«
Philos Stimme war
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