Spur der Flammen. Roman
Ian Hawthorne, der unbeweglich und mit glasigen Augen der Länge nach im Sand lag. Seinen Puls zu überprüfen erübrigte sich.
»Großer Gott«, flüsterte Candice und sank am Auto zusammen.
Noch jemand lag da, in unmittelbarer Nähe – ein Mann in einem Hawaii-Hemd, mit zwei Schusswunden im Rücken. Auch er war tot.
»Ist er das?«, fragte Glenn.
Sie nickte, zitternd und mit Tränen in den Augen. Der Mann, der in das Haus ihrer Mutter eingedrungen war und ihr sein Messer an die Kehle gesetzt hatte.
»Hawthorne besaß keine Waffe«, sagte Glenn und schaute suchend die Gegend ab. »Sieht aus, als hätten sie sich gegenseitig erledigt, oder aber der im Hawaii-Hemd wurde von seinem Auftraggeber mundtot gemacht.« Hielt sich dieser Dritte noch in der Nähe auf?
»Wir müssen hier weg«, drängte Glenn. Er spähte in den Pontiac. Kein Schlüssel im Zündschloss. »Wer immer hier rumgeballert hat, rechnet wahrscheinlich damit, dass wir über kurz oder lang hier aufkreuzen und er dann zurückkommen und den Auftrag vollends erledigen kann. Wir müssen unbedingt die Wagenschlüssel finden.«
Candice riss sich zusammen und durchsuchte das Auto, Glenn nahm sich Ians Segeltuchsack vor. »Die Tafeln sind nicht mehr da«, stellte sie fest.
»Aber dies hier hat Hawthorne behalten.« Glenn hielt ein Bündel hoch.
»Die Keramikscherben!« Esthers
zweite
Geschichte.
»Und hier ist sein Handy.« Glenn drückte auf Tasten. »Tote Hose. Die Batterie ist leer.«
»Dahinter dürfte Philo stecken«, meinte Candice. »Er war auf dem Flur vor der Intensivstation und hat bestimmt gehört, wie Ian zu mir sagte, ich soll ihn anrufen, wenn ich Hilfe brauche. Daraufhin hat Philo sich ihn geschnappt und ihm Geld angeboten, damit er ihn über unser Vorgehen auf dem Laufenden hält.«
Die Wagenschlüssel fanden sich in Ians Tasche. »Bloß weg hier!«, rief Glenn.
»Glenn …«
Er drehte sich um.
»Wir können sie doch nicht so liegen …«
Er warf einen Blick auf die Toten. Dann holte er aus dem Kofferraum des Pontiac eine Schaufel.
»Hawthorne hätte nicht sterben müssen«, sagte er über die frischen Gräber hinweg. »Wenn er nicht so verbiestert gewesen wäre.«
Candice wollte keinen Kommentar dazu abgeben – diese starren toten Augen! Sie trauerte um Ian, war aber gleichzeitig wütend auf ihn, weil er es gewesen war, der sie und Glenn in diese gefährliche Situation gebracht hatte. Er hatte sie hintergangen. Es würde mit Sicherheit eine Weile dauern, bevor sie ihm verzeihen konnte, auch wenn sie wusste, dass sie es irgendwann tun würde.
Als sie Hawthornes Segeltuchsack auf den Rücksitz wuchteten, fiel ein kleiner Umschlag heraus. Er enthielt eine Mikrokassette, die mit
Rückversicherung
gekennzeichnet war.
Glenn sah sich den Fund genauer an. »Sieht aus wie das Band von einem Anrufbeantworter.«
»Ian hatte die Angewohnheit, seine Telefongespräche mitzuschneiden«, sagte Candice. »Als Rückversicherung, wie’s ja auch draufsteht. Soweit mir bekannt ist, hat er sich auf riskante Geschäfte mit ein paar skrupellosen Typen eingelassen, auf solche, die einen auszutricksen versuchen.«
»Warum er wohl ausgerechnet dieses Band hier bei sich hatte?«
Und dann fiel es ihnen wie Schuppen von den Augen: für den Zeitpunkt des Austauschs. Falls der Käufer der Tontafeln einen Rückzieher machte, konnte Ian anhand der Aufzeichnung nachweisen, was vereinbart worden war. Würden sie, wenn sie das Band abspielten, die Stimme von Philo Thibodeau hören?
»Wie geht’s jetzt weiter?«, fragte Candice, als sie auf den Beifahrersitz kletterte.
»Wir fahren an die Küste, zu einem der Häfen. Vielleicht finden wir einen uns wohl gesonnenen Kapitän. Latakia wäre am günstigsten«, fügte er, die Karte studierend, hinzu.
»Wie weit ist das?«
»Dreihundert Meilen.« Er ließ den Motor an. »Ab Palmyra sind die Straßen gut ausgebaut, es gibt sogar Autobahnen. Aber erst einmal müssen wir diese Wüste hinter uns lassen.«
»Glenn, was ist mit Kontrollpunkten, Soldaten, Patrouillen? Man könnte uns anhalten und ausfragen, Papiere verlangen. Wir könnten sogar für Spione und Schmuggler gehalten und verhaftet werden.«
»Wir haben Geld. Wir kaufen uns den Weg frei.«
»Und dann? Wenn wir ein Schiff haben? Wohin fahren wir dann? Glenn, wir haben doch keine Ahnung, wo Philo die Tafeln hingebracht hat.«
Keine Ahnung, stimmte Glenn insgeheim zu, als der Pontiac beschleunigte und sie die frischen Gräber hinter sich
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