Spur der Flammen. Roman
zusätzlich auf den Dächern mit großen Gebetsfahnen beflaggt. Ein vom modernen Tourismus noch unbeleckter Zufluchtsort, wo safrangelb gewandete Knaben vom Unterricht im Freien aus neugierig den zur Landung ansetzenden Helikopter beäugten.
Als der Chopper Bodenkontakt hatte und sich die Rotation der Schaufelblätter verlangsamte, sah Philo, wie Jessica, in einen Chinchillapelz gehüllt, mit wehender roter Mähne ins Sonnenlicht trat.
Sie schirmte die Augen ab und verfolgte, wie er den Fuß auf die Pflastersteine setzte. Zum ersten Mal, dachte sie, mischte sich Philo in ihre Angelegenheiten ein. Im Gegensatz zu beispielsweise der Sache mit den Britta-Buschhorn-Aufzeichnungen; da hatte er gelten lassen, dass die Frau nicht verkaufen würde, und von dem Deal Abstand genommen. Dass er diesmal persönlich auftauchte, konnte nur bedeuten, dass er mit dem Lama direkt verhandeln wollte. Warum war ihm dieser Erwerb derart wichtig?
»Der Lama will die Bücher nicht herausrücken«, sagte sie, als sie sich gegenüberstanden.
»Ich versuche es noch einmal. Du bringst meinen Hubschrauber wieder nach unten; ich komme in dem anderen zurück. Noch etwas, Jessica, lass bei dem Brief von Raymond de Toulouse nicht locker.
Ich muss ihn haben.
«
Sie blieb unweit des Helikopters stehen und sah ihm nach, als er, flankiert von seinen allgegenwärtigen Begleitern, über den Hof schritt. Ob Philo wusste, dass sie den Brief bereits besaß?
Oder bildete sie sich nur ein, er könnte Verdacht geschöpft haben?
Als der Hubschrauber mit Jessica an Bord abhob und auf das unten liegende Tal zuhielt, gab Philo den Männern in der zweiten Maschine ein Zeichen, worauf sie darangingen, Kisten mit der Aufschrift LEBENSMITTEL und MEDIKAMENTE auszuladen.
Der Lama war ein Rinpoche – wie man auf Tibetisch einen ›weisen Mann‹ bezeichnete, der sich nach Jahren des Studierens und der Meditation ein tiefes spirituelles Bewusstsein erworben hatte. Dieser Rinpoche hier war obendrein ein Tulku, die Wiedergeburt eines hoch entwickelten Wesens, das sich viele Leben hindurch in Nächstenliebe und Selbstlosigkeit geübt hatte. Darüber hinaus war er ein Quell der Wahrheit, ein Dharma. Die traditionelle Art ihn zu begrüßen, war, sich dreimal vor ihm niederzuwerfen. Philo indes beschränkte sich darauf, ihm auf amerikanische Art die Hand entgegenzustrecken.
Begleiter standen bereit, um dem Lama zu Diensten zu sein und dafür zu sorgen, dass sich der Besucher ihm gegenüber nicht ungebührlich verhielt; der Lama selbst äußerte niemals Bestürzung oder Wünsche, nicht einmal, wenn ein Besucher ihn mehr als erträglich ermüdete.
»Trifft es zu«, fragte Philo, derweil ein Diener Tee servierte, »dass Jesus dereinst hier verweilte?«
Der Lama nickte. Der Schädel des Dreiundzwanzigjährigen war rasiert und spiegelblank. »Ja«, sagte er in akzentuiertem Englisch. »Vor zweitausend Jahren, um sich auf seine heilige Mission vorzubereiten.«
»Und er hat Ihre heiligen Schriften gelesen?«
»Ja.«
»Stand in diesen Texten etwas über Licht?«
Ȇber das Licht Gottes, ja, in dem Buch
Sich ergießendes gleißendes Licht.
Und dann brachte Jesus die heilige Botschaft nach Jerusalem«, sagte der buddhistische Mönch.
Während die jugendlichen Mönche im Freien ihre Lektionen sangen, blickte der Rinpoche auf die Mala in seiner Hand. »Sie stehen nicht zum Verkauf an.«
»Darf ich sie mir zumindest einmal anschauen?«
Ein Schreinraum ist ein Ort, an dem ein Mensch mit der höchsten Form seiner Natur in Kontakt treten kann, ein Ort, um die Buddha-Natur in sich zu öffnen und das Wort der Wahrheit zu vernehmen. Philo war hier, um einen Handel abzuschließen.
Als 1959 chinesische Kommunisten in Tibet einmarschierten, wurden Klöster niedergebrannt und Tausende Mönche umgebracht. Von den ursprünglich fünfundsechzig Exemplaren dieses geheiligten Meisterwerks existierten dem Vernehmen nach lediglich noch sieben. Dieses hier war das achte. Sammler grasten die Welt nach ihm ab.
Das Papier wirkte wie äußerst fadenscheiniges Gewebe, erwies sich jedoch als überraschend fest und fühlte sich wie Seide an. Die ungebundenen Seiten waren mit tibetischen Zeichen in schwarzer Tusche beschrieben und handelten von Erleuchtung. Philo musste unbedingt in den Besitz dieser Schrift kommen. »Ich will ganz offen zu Ihnen sein, Rinpoche. Über diese heiligen Texte ist in einer weit verbreiteten Zeitung geschrieben worden, und jetzt sind jede Menge Leute darauf aus, den
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