Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spur der Flammen. Roman

Spur der Flammen. Roman

Titel: Spur der Flammen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
Vom Netzwerk:
vollendeten, es die Pflicht des Mannes war, seinen Samen wo immer möglich zu verstreuen.
    Er unterhielt sich abends gern mit Michel, mochte es nun darum gehen, ob es sinnvoll war, die Bibel zu übersetzen und sie dadurch dem einfachen Mann zugänglich zu machen, oder um die Vorzüge des heiteren Romans
Gargantua
im Vergleich zum davor erschienenen
Pantagruel
(wobei die Tatsache, dass die beiden in ganz Europa außerordentlich beliebten Bücher in Frankreich verboten waren, Monsieur nicht im Geringsten zu stören schien). Heute kam er auf Religion zu sprechen, und Hélène gewann den Eindruck, als fühlte sich Michel mit einem Mal nicht so recht wohl in seiner Haut.
    »Eine Reform der Religion liegt in der Luft, mein Freund«, erklärte der Vater, während er den Wein umfüllte. »Angesichts dessen, dass im Norden Luther die Praktiken der Kirche anprangert, in England sich König Henry von Rom lossagt, damit er sich von seiner Frau scheiden lassen kann, und es an der theologischen Fakultät der Universität von Paris zu Unmutsäußerungen kommt, steht zu befürchten, dass Mutter Kirche Gefahr droht. Der König selbst ist entsetzt über das, was diese so genannten protestierenden Humanisten veranstalten. Wie man sich erzählt, hat sich François dahingehend geäußert, dass er seine eigenen Kinder verdammen wolle, sollten sie diesem verderblichen Einfluss anheim fallen. Wie denkt Ihr darüber, Monsieur?«
    Michel wusste den Blick seines Gegenübers nicht zu deuten. War er ein Anhänger Luthers und wollte ein Streitgespräch provozieren, oder war er Katholik und hoffte, einen Ketzer zu entlarven? Erst siebzehn Jahre war es her, dass Martin Luther seine Thesen am Portal der Schlosskirche zu Wittenberg angeschlagen hatte, und dennoch war die Welle des Reformfiebers wie ein Feuersturm durch Europa gefegt und loderte weiter, ohne dass man ihr Einhalt gebieten konnte. Jetzt schickte sich die aufgeschreckte Kirche an, zum Gegenschlag auszuholen, weshalb jeder dem anderen misstraute und sich das, was er sagte, vorher genau überlegte. Deshalb meinte Michel: »Ich bin Wissenschaftler, Monsieur. Ich glaube an die Sterne und meine Medizin.«
    Als der kryptische Blick des Vaters einen Augenblick zu lange auf Michel ruhte, erhob sich Hélène. »Wie wär’s, wenn wir im Garten ein wenig Luft schnappten, Monsieur?«, fragte sie. »Sie ist erquickend um diese Abendstunde.«
    Kaum waren sie aus dem schummrig erhellten Haus ins helle Mondlicht getreten, gewahrte sie einen Anflug von Schweiß auf Michels Stirn. War er etwa krank? Oder war sein Unwohlsein nicht eher auf das Thema Kirche und protestierende Ketzer zurückzuführen? Sympathisierte dieser gut aussehende junge Arzt mit den Reformern?
    Hélène hatte Recht mit ihrer Vermutung, dass er ein Geheimnis mit sich herumschleppte. Was sie jedoch
nicht
wusste, war, dass Michels Geheimnisse eine Gefahr für ihn selbst darstellten und dass er sie für sich behalten musste, um nicht der Ketzerei angeklagt zu werden – oder schlimmer noch, der Hexerei. Dies war auch der Grund, weshalb er von Stadt zu Stadt zog, sich niemals lange an einem Ort aufhielt. Des Weiteren ahnte Hélène nicht, dass sie ihn in ihrem Wunsch, mehr von ihm zu erfahren, und entschlossen war, diese Geheimnisse aufzudecken, in Bedrängnis brachte.
    »Spielt Ihr
Tenez,
M’sieur?«
    Tenez – französisch für »nehmt es« – war ein bei Frankreichs Jugend beliebter Zeitvertreib, ein Spiel, bei dem man einen Ball über ein Netz hin und her schlug. Michel machte sich nichts daraus. Sein Leben drehte sich um Medizinisches und Astrologie, über die er eine eigene Meinung vertrat. »Die medizinische Ausbildung ist hoffnungslos veraltet und ungenügend. Unsere Bücher sind voll von anatomischen Diagrammen, die nicht auf genauer Beobachtung basieren, sondern den Hirngespinsten eines Künstlers entsprungen sind. Gäbe es da nicht einen so mutigen Mann wie Monsieur da Vinci, der sich stundenlang im Leichenschauhaus aufhält …«
    »Ihr findet es in Ordnung, Verstorbene zu sezieren?«
    »Wenn die Kirche es nur gestatten würde! Um wie viel größer wären dann unsere Heilerfolge.« Er sah sie lange an. »Jetzt habe ich Euch erschreckt.«
    »Keineswegs«, sagte sie bescheiden.
    Er vertrat eine weitere, nicht minder unpopuläre Überzeugung: dass sich die Sonne nicht um die Erde drehe, sondern die Erde um die Sonne. Seiner Vermutung nach wurde diese Meinung auch von anderen geteilt, wenngleich tunlichst nicht laut

Weitere Kostenlose Bücher