Spur der Flammen. Roman
gewesen, aber was für eine Geste! Er konnte sich Großzügigkeit leisten, nun, da die Welt, wie sie bisher existiert hatte, sich ihrem Ende zuneigte.
Ein trüber Himmel über einer trostlosen Landschaft, in der einsam der Wind heulte. Keine Menschenseele, kein Vogel, keine Pflanze meilenweit zu entdecken. Candice stapft durch hohen Sand, mit jedem Tritt rutscht sie tiefer, sinkt bis zu den Knien ein und kann sich nicht mehr rühren. Weiter vorn, zwischen den steilen Wänden des Wadi, Glenn, halb begraben, ein Arm zum Himmel gereckt, die Finger wie Klauen gekrümmt. Seine Augen glasig und starr. Tot.
Sie erwachte mit einem Schrei.
Als sie sich in ihrer Koje aufrichtete, war Glenn schon an ihrer Seite und nahm sie in die Arme. Sie drückte das Gesicht an seine nackte Schulter. »Ich hab geträumt, du wärst tot«, wisperte sie. Silbernes Mondlicht fiel durch das Bullauge. Er strich ihr über das Haar. »Noch nicht. Noch eine ganze Weile nicht.«
Während er sie im Arm hielt, begann er eine Melodie zu summen, dann fielen ihm die Worte dazu ein: »She’s the blues/My lady in red/Don’t let the hot fire fool ya/My lady in red … only the blues’ll cool ya.«
»Ich kann noch nicht sterben, ich habe noch so viel vor«, versuchte er sie zu beruhigen. Unter ihrem dünnen T-Shirt fühlte sie sich so klein und zerbrechlich an. »Es gibt noch so viel zu sehen. Es gibt da ein Haus, in Oklahoma, glaube ich, das ganz aus Kotflügeln von Cadillacs erbaut ist.«
Sie sah ihn an und lachte. »Das hast du dir ausgedacht, nicht wahr?«
»Durchaus nicht. Oder denk an den Schrein der Heiligen Tortilla. Lach nicht, ich mein’s absolut ernst. Das Ding existiert tatsächlich in Lake Arthur, Neu Mexico. Jesu Gesicht ist auf dieser Tortilla erschienen und sie soll Menschen heilen. Ich werde mich irgendwann auf den Weg machen und die Wunder Amerikas aufsuchen.«
Candice strich sich eine Strähne aus der Stirn. »Du brauchst mich nicht aufzumuntern.«
»Ich wollte dir nur klar machen, dass dein Alptraum nichts taugt. Ich kann jetzt noch nicht sterben, ich habe noch so viel zu erledigen.«
Im fahlen Mondlicht wirkten Glenns muskulöse Arme und Schultern wie aus Marmor gemeißelt. Das Licht verlieh ihm etwas von einem griechischen Gott: Apoll, zwischen zwei ionischen Säulen. »Brauchst du auf dieser Reise vielleicht Begleitung?«, fragte Candice, die kaum zu atmen wagte, so heftig war ihr Begehren.
»Weiß nicht. Kannst du Straßenkarten sauber zusammenfalten?«
Dann verstummten beide voller Ahnung, dass der Moment gekommen war. Candices verwuschelte Haare, die ihr hier und da über die Schulter fielen und so verführerisch in ihr schlaftrunkenes Gesicht hingen. Und Glenn, so sexy mit seinen Shorts und dem bloßen Oberkörper. Unter der glatten Haut spürte Candice Muskeln und Sehnen und auf seiner Schulter die Narbe von seinem Sturz.
Er schaute auf ihren Hals. »Wo ist sie?«
»Wer?«
Er tippte mit dem Zeigefinger auf ihre Halsmulde.
»Ich nehme sie immer zum Schlafen ab.«
Er zog den Finger nicht weg, sah wie gebannt auf die Stelle, hinter der sich diese betörende Stimme verbarg, und drückte sanft die Lippen darauf. Candice erbebte. Sie schlang ihm die Arme um den Hals, ihre Lippen fanden sein Ohr.
Er zog sie fester an sich, sein Mund suchte den ihren, ein zögernder Kuss …
Plötzlich hob er den Kopf. »Was war das?«
Die Schiffsmaschinen waren verstummt.
Rasch warf Glenn sich seine Sachen über und riss die Kabinentür auf. Männer eilten über das Deck. »Was ist los?«, rief Candice, während sie die Decke bis ans Kinn zog.
Stavros erschien auf der Schwelle, er zog sich gerade die Hosenträger über die muskulösen Schultern. »Nichts von Belang, Sir. Eine Maschine ist ausgefallen. Passiert immer mal wieder. Haben wir in null Komma nix wieder gerichtet.« Er bekreuzigte sich und hastete davon.
Als Glenn sich wieder umdrehte und die Kabinentür schloss, stand Candice fertig angezogen vor ihm. »Ich dachte, wir müssten alle in die Rettungsboote«, sagte sie.
Sie schauten einander an, wohl wissend, was der Maschinenschaden unterbrochen hatte. Aber wie fanden sie wieder einen Anfang? Sie hörten die Männer unter Deck rufen, hörten Metall an Metall schlagen und ahnten, dass die Maschine höchstwahrscheinlich bald wieder arbeiten würde, wie Stavros vorausgesagt hatte. Menschliche Wesen indes waren anders gestrickt. Einen romantischen Augenblick konnte man nicht so einfach wieder starten wie eine Maschine. Sie
Weitere Kostenlose Bücher