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Spur der Flammen. Roman

Spur der Flammen. Roman

Titel: Spur der Flammen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Sie sahen, wie unser König geblendet und in Ketten nach Babylon gebracht wurde. Dort bin ich geboren und aufgewachsen, doch bin ich keine Babylonierin. Ich lebte in der Gesellschaft anderer heimatloser Juden, die ihre Gebete täglich nach Westen richteten, dorthin, wo unser Tempel einst stand.
    Lange vor dem Fall Jerusalems, lange bevor unser Volk in die Diaspora und ins Exil getrieben wurde, gab es eine auserwählte Gruppe in unserem Volk, deren Aufgabe es war, die heiligen Worte unseres Glaubens in ihrem Herzen zu bewahren und an die Nachkommen weiterzugeben. Meiner Ahne war Mirjams Lied anvertraut, so wie den Männern Geschichten über Männer gegeben wurden. Meine Mutter prägte sich die Worte ein und gelobte, das Geheimnis ihren Töchtern weiterzugeben, damit die heroischen Taten unserer Vorfahren nie vergessen würden. Die Perser entließen uns aus der Gefangenschaft. Nur ich durfte nicht gehen, denn ein Mann fand Gefallen an mir, machte mich zu seiner Sklavin und gab mir einen neuen Namen. Er verstand nicht, dass ich die Letzte in einer langen Reihe von Töchtern und mit einer heiligen Aufgabe betraut war. Er verbot mir, dieser Aufgabe nachzugehen, die schon vor meiner Geburt meine Berufung war, wie es die Berufung meiner Mutter und deren Mutter war und weiter zurück bis zu unserer ersten Mutter Eva.
    Ich bin also eine geflohene Sklavin, und wenn man mich findet, werde ich den Tod erleiden. Ich bin meinem Herrn nicht um meiner selbst willen weggelaufen, sondern um all der Generationen willen, die nach mir kommen werden, und weil ich bei meiner Geburt mit Leib und Leben zur Hüterin eines heiligen Buches geweiht wurde.
    Ich weiß, dass mein persischer Herr mich suchen lässt. Freunde haben mir zur Flucht verholfen, haben mich des Nachts auf ein Boot gebracht, das flussaufwärts nach Mari fuhr. Südlich davon gelangte ich auf die Karawanenstraße, die nach Jerusalem führt.
    Jerusalem jedoch ist weit und ich bin erschöpft. Dieser Ort hier bietet Schutz vor den winterlichen Regenfällen und Stürmen, die mich am Weiterziehen hindern. Und während ich auf besseres Wetter warte und mich den Häschern meines Herrn zu entziehen suche, möchte ich die Geschichte niederschreiben, die mir so tief eingeprägt wurde, wie ein Griffel Zeichen in feuchten Ton ritzt. In diesem Ton halte ich das Leben und die Worte derjenigen fest, die uns lehrte, dass der Lebendige Gott uns nicht erschuf, um zugrunde zu gehen, sondern damit wir unser Schicksal erfüllen; die uns lehrte, dass in unseren dunkelsten Stunden weiterhin die Sonne aufgeht und Gott Sein bestärkendes Licht über uns ausgießt; die uns lehrte, dass Gott über uns allen wacht, selbst über dem unscheinbaren Küken in seiner Eierschale; und die uns lehrte, dass Gott uns immer wieder ans andere Ufer des Meeres führt.
    Und nun eine letzte Bitte: Obwohl ich von Dunkelheit umfangen bin, werde ich bald im Licht sein. Ich fürchte den Tod nicht, denn ich kehre zurück zum Vater, der das Licht ist. In den letzten Augenblicken meines Lebens habe ich nur noch einen Wunsch: Wer immer diesen Ort und meine armseligen Überreste findet, möge meine Schwestern in Jerusalem ausfindig machen, um ihnen dieses Buch als Vermächtnis für sie zu übergeben und ihnen auszurichten, dass meine letzten Gedanken ihnen galten.
    »Mirjams Lied«, murmelte Glenn. »Ein verschollenes Buch der Bibel, das wegen Esthers Gefangenschaft und Tod ausgelassen wurde.«
    »Aber wer ist denn nun die ›Frau des Astronomen‹? Mirjam?«, überlegte Candice laut. »Im zweiten Buch Mose steht, dass Mirjam Tänzerin und Sängerin war, womöglich auch eine Musikantin. Da wir wissen, dass Mirjam sich des Pharaos Tochter näherte und ihr von der Mutter des Babys erzählt hat, folgt daraus, dass sie im Palast gewohnt haben könnte und möglicherweise mit Moses zusammen aufgewachsen ist.« Ein Bild stand Candice vor Augen, hell, deutlich und farbenprächtig: ein Wandgemälde aus dem Grab des Nacht. Er war Astronom und seine Gattin Musikantin. Konnte es denn sein, dass es sich bei der Frau auf dem Gemälde um Mirjam, die Schwester von Moses, handelte?
    »Glenn, was steht in ›Mirjams Lied‹, das Philo Thibodeau so dringend haben will, dass er dafür sogar tötet?«
    Glenn schaute auf seinen Ring.
    »Was?«, wiederholte Candice.
    »Wie ich schon sagte, dachte ich, der Geheimbund, dem meine Eltern angehörten, sei ein religiöser Orden. Jetzt erinnere ich mich wieder an Dinge, die ich vergessen glaubte. Candice,

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