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Spur der Flammen. Roman

Spur der Flammen. Roman

Titel: Spur der Flammen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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klappte das Handy zu und schaute auf das glimmende Kabinenlicht. Candice war also noch wach, immer noch bei der Arbeit. Am liebsten wäre er jetzt in die kleine Kabine gegangen, hätte die Tür hinter sich zugezogen und die Nacht in Candices Armen verbracht. Stattdessen wandte er der Versuchung den Rücken, trat an die Reling und schaute auf das sternengesprenkelte Wasser. In den Händen hielt er das Tagebuch seiner Mutter, dessen letzte Seite noch entschlüsselt werden musste.
    Er würde sich der Kabine erst nähern, wenn das Licht erloschen war.
    Während sie die Keramikscherben auf dem Tisch ausbreitete, versuchte Candice sich Esther bei der Arbeit vorzustellen, wie sie den Kopf über ein Keramikteil neigte, die Oberfläche säuberte, ihre Tintenfarben mischte und dann die Buchstaben mit größter Sorgfalt auftrug. Hin und wieder hielt sie wohl inne und lauschte dem Treiben der Stadt vor ihrer Tür. Wie mochte sie ausgesehen haben? War sie klein? Hübsch? Hatte sie einen Ehemann? Kinder? Vielleicht einen Liebhaber?
    Candice war bei ihrer Arbeit nicht allein. Eine Frau ging ihr zur Hand, die sie bisher nur einmal, und zwar auf dem Krankenhausflur vor der Intensivstation, getroffen hatte, und die ihr in den letzten Tagen so vertraut geworden war. Dr.Mildred Stillwater, pummelig, alterslos und mit diesem sonderbaren Lächeln. Was mochte nach der Veröffentlichung der
Hebräischen Bibelquellen
aus ihr geworden sein? Hatte sie geheiratet und Kinder großgezogen? Hatte sie die Orientalistik aufgegeben? Das wäre nicht weiter verwunderlich. Für Frauen aus Mildred Stillwaters Generation war die Welt der Archäologie noch eine eifersüchtig gehütete männliche Domäne. War das für die gutmütige Frau womöglich zu anstrengend gewesen? Hatte sie das Handtuch geworfen und sich an Küche und Herd oder in ein Häuschen im Grünen zurückgezogen, wo eine Frau ihrer Generation hingehörte?
    Candice dachte an Paul und die Art, wie er ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte. Dabei war es weniger ein förmlicher Antrag gewesen als vielmehr eine beiläufige Bemerkung: »Nachdem deine Karriere auf der Kippe steht, kannst du genauso gut bei mir in Phoenix leben, wir könnten sogar heiraten, wenn du möchtest.« Nach diesen Worten hatte sie jeder ernsthaften Beziehung abgeschworen, um sich nur noch auf ihren Beruf und ihre Karriere zu konzentrieren. Sie würde so erfolgreich werden wie ihre Mutter, und das ohne die Hilfe eines Mannes. Nur hatte sie sich dies geschworen, bevor Glenn Masters ihren Weg kreuzte und ihrer beider Schicksal auf seltsame Weise miteinander verknüpft wurde. Selbst jetzt, da sie sich auf die Keramikscherben konzentrierte, musste sie an ihn denken.
    Sie erstarrte.
    Die Scherbe in ihrer Hand:
Meine Urgroßeltern waren unter den Gefangenen Nebukadnezars.
    Also hatte Esther ihre Geschichte
doch
während der Babylonischen Gefangenschaft niedergeschrieben! Eine Jüdin im Exil nach der Zerstörung Jerusalems … sie schreibt heimlich, etwas Verbotenes. Hastig schlug Candice in dem Quellenbuch nach und fand die Jahreszahlen der Babylonischen Gefangenschaft bestätigt: 587 bis 538  v.Chr.
    Gesegnet sei Mildred Stillwater!
    Somit waren die letzten Teile übersetzt, und Candice musste sie nur noch wie bei einem Puzzle so zusammensetzen, dass sich ein Bild ergab. Die Geschichte der Esther von Babylon. Und eine Erklärung für die Tontäfelchen, deretwegen Ian seine Seele verkauft hatte.
    Ein leises Klopfen, dann steckte Glenn den Kopf durch die Tür. Candice blickte überrascht auf. Das Kabinenlicht brannte doch noch. »Alles in Ordnung?«, fragte sie.
    »Ich habe endlich mit meiner Dienststelle telefoniert. Nichts Neues zum Fall meines Vaters.« Sein Blick fiel auf die Keramikstücke.
    »Ich bin fertig.« Candice reichte ihm die Übersetzung, die sie auf schiffseigenes Briefpapier geschrieben hatte. »Hier ist Esthers Geschichte.«
    Glenn ließ sich auf der Sofakante nieder und begann zu lesen:
Ich schreibe in Hast und im Geheimen. Mir bleibt nur noch wenig Zeit. Ich fürchte, man hat mich entdeckt. Ich bin die Letzte meiner Linie. Nach mir kommt Stille.
    Ich heiße Esther. Das ist nicht mein richtiger Name, aber meinem persischen Herrn gefiel es mich so zu nennen, denn er sag-
te, ich sei schön wie ein Stern. Mein wahrer Name ist nicht von Bedeutung, denn ich bin nur eine Botin für eine, die größer ist als ich und deren Name fortbestehen muss.
    Meine Urgroßeltern waren unter jenen, die Nebukadnezar gefangen nahm.

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