Spur der Flammen. Roman
Zahl auf einem eisernen Schienennetz kreuz und quer auf dem Globus im Einsatz sein. Maschinen, die fliegen können, werden gebaut werden, schnellere Schiffe; man wird Kommunikationsmöglichkeiten schaffen, wie wir sie uns nicht erträumen können. Genau wie Mother Shipton, die Ihnen ein Begriff sein dürfte, 1550 prophezeit hat: ›Rund um die Welt werden der Menschen Gedanken fliegen, schnell wie ein Augenblick.‹«
Keyes beugte sich vor. »Hören Sie, mein Freund. Ob Sie meinen Worten Glauben schenken oder nicht, ist unwichtig. Entscheidend ist, dass wir vor dem Anbruch eines neuen Zeitalters stehen, dass unsere Tage des gemächlichen Sammelns und Bewahrens zu Ende gehen und dass wir dabei sind, unsere wahre Arbeit aufzunehmen.«
»Und die wäre?«, fragte Jeremy skeptisch.
Und als Keyes ihn einweihte, meinte er spontan: »Völlig widersinnig!«, wurde dann aber doch nachdenklich und stimmte schließlich zu, dass der Schutz der Bibliothek dringend erforderlich war.
Vor Aufregung fand er in dieser Nacht keinen Schlaf. Er kam sich stark und wichtig vor, schmiedete Pläne, dachte an Emma. Morgen lockte die Freiheit! Er würde ein neues Kapitel im Buch seines Lebens beginnen. Keine Schulden mehr anhäufen, nie wieder anschreiben lassen. Er würde einen vernünftigen Beruf ergreifen, vielleicht doch in die Firma seines Vaters eintreten. Seine Freunde würde er selbstredend behalten. Man konnte doch nicht über Nacht mit altvertrauten Gewohnheiten brechen. Und es verstand sich von selbst, dass man das Beste aus sich machte, sich nach der neuesten Mode kleidete, durch den Schnitt der Garderobe seine Figur aufs Vorteilhafteste zur Geltung brachte. Einen oder zwei seiner bevorzugten Schneider in der Bond Street würde er jedenfalls beibehalten. Auch den Herrenausstatter, den Stiefelmacher, den Importeur seidener Krawatten, und verschiedene Paare Handschuhe sowie Schnupftabakdosen brauchte man schließlich auch …
Er glitt hinüber in den erquickendsten Schlummer seit Wochen.
Als er aufwachte, erwartete ihn eine böse Überraschung.
Der Gefängnisgeistliche hatte in der Zwischenzeit Frederick einen Besuch abgestattet, und somit erfuhr Jeremy erst am Morgen, dass die Hinrichtung von Frederick Keyes für heute angesetzt worden war.
Emma erschien. Keyes hielt die hemmungslos Schluchzende umfangen. Ungeachtet der Qualen und Angst, die in seiner Seele wüteten, sprach er zärtlich auf sie ein. »Versprich mir, Jeremy nicht von der Seite zu weichen. Begib dich von hier aus direkt nach Morven. Schau nicht zu, wenn ich gehängt werde. Behalt mich so in Erinnerung, wie ich zu Lebzeiten war.«
Sie schluchzte an seiner Brust.
»Versprich mir das, Emma!«
Jeremys Herz zog sich zusammen, als er die beiden beobachtete. Niemals hatte ihn eine Frau so geliebt oder würde ihn so lieben wie Emma Keyes liebte. Ausgebreitet wie eine farblose Decke sah er seine Zukunft vor sich – eine endlose Folge von Gesellschaften, Tratsch und Besuchen bei Maßschneidern, ein unerfülltes Jahr nach dem anderen, bis er allein und ungeliebt auf dem Totenbett lag. Sein Name vergessen, weil er nichts aus seinem Leben gemacht hatte.
Und dann dachte er an Desmond Stone, diesen schrecklichen, begüterten, einflussreichen, gnadenlosen Mann. Mit einem solchen Menschen konnte er es unmöglich aufnehmen, er würde es nicht schaffen, Emma vor ihm zu beschützen.
Die Lösung überkam ihn wie ein strahlender Sommertag.
Er nahm seinen ganzen Mut zusammen, ballte die Fäuste. »Frederick, Sie gehen«, stieß er aus. »Sie nehmen Ihre Pläne an sich und begeben sich mit Emma nach Morven.«
Die beiden Angesprochenen fuhren herum. »Wie bitte?«
»Wenn man mich aufruft, werden Sie antworten. Ich bleibe hier.«
»Nicht doch!«, rief Emma.
Jeremy sprach hastig und am ganzen Leibe zitternd. Der Strick des Henkers … »Die Summe für die Freilassung ist hinterlegt, der Wärter wird Jeremy Lamb aufrufen. Es ist ihm egal, wer wer ist, solange die Zahl der Häftlinge am Ende des Tages stimmt. Und wenn Frederick Keyes aufgerufen wird, antworte ich.«
»Großer Gott, Mann, das kann ich nicht zulassen!«
»Versuchen Sie nicht, mir das auszureden. Noch nie habe ich etwas getan, was Mut erfordert hätte. Jetzt bietet sich mir einmal die Gelegenheit dazu.«
Keyes wollte nichts davon hören. »Ich werde keinen Unschuldigen aufs Schafott schicken.«
»Ihr Leben ist wichtiger als meins. Sie haben ein Ziel, ich nicht. Sie werden gebraucht, Frederick, ich
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