Spur der Flammen. Roman

nehmen Sie die A 78 nach Süden. Das ist zwar nicht die Hauptstraße, aber eine landschaftlich schöne Strecke. Das Gasthaus liegt auf der rechten Seite auf einem Kliff über dem Meer. Wenn Sie Culzean Castle sehen, sind Sie zu weit gefahren.«
    Am Wegweiser waren sie abgebogen. An brüchigen Steinmauern und dichtem Buschwerk vorbei, waren sie nach einer Weile in einem verschlafenen Nest mit einer Hand voll weiß getünchter, geduckter Katen angelangt. Das ›Thistle Inn‹, das einige hundert Jahre auf dem Buckel haben musste, war das einzig markante Gebäude in diesem Flecken. Die asphaltierte Straße endete kurz hinter dem Gasthof, wo sich hoch über dem Firth of Clyde offenes Weideland bis an die Kante des Kliffs zog.
    Da standen sie nun und schauten auf eine kleine Insel, die auf der Landkarte mit
Morven
markiert war.
    »Glaubst du, dass Philo dort ist?« Candice blinzelte in die späte Nachmittagssonne.
    Glenn schaute sich nach dem Gasthof um, über den Hawthorne Kontakt mit Philo gehalten hatte. Dann musterte er die lang gestreckte Küstenlinie mit ihren Sandbuchten, zerklüfteten Felsen und kleinen Grotten. Vom Kliff führte ein steiler Fußweg zum Strand hinunter, wo ein Motorboot vertäut lag. »Wir werden es herausfinden.«
    Das Boot war schon alt, aber der Motor machte einen guten Eindruck. Nach ein paar Versuchen sprang der Motor an, und schon flitzten sie über das Wasser.
    Nebeneinander sitzend, blickten sie gespannt auf die Insel vor ihnen, die im späten Nachmittagsdunst immer unwirklichere Formen annahm. An einem felsigen Strand legten sie an, zerrten das Boot ans Ufer, hängten sich die Rucksäcke über und zogen landeinwärts. Es ging über federnden Gras- und Moosgrund, der ihren Schritt dämpfte, bis sie sich plötzlich vor den prähistorischen Megalithen fanden.
    Eine seltsame Stimmung lag über dem Rund mit den mannshohen Steinen, insbesondere jetzt, da die Sonne lange Schatten warf und den Eindruck vermittelte, als schlummerten Menschen im Gras. In Candices lebhafter Phantasie bevölkerte sich der Kreis mit Meeresgeistern und bärtigen Riesen, und sie stellte sich vor, wenn sie lange genug in der einsetzenden Dämmerung stehen blieben, würden sie noch Druidengesänge hören.
    Sie stiegen weiter voran, passierten ein von Flechten überzogenes keltisches Steinkreuz, dessen verwitterte Inschrift davon zeugte, dass es vor langer Zeit geschaffen worden war.
    Wo der Wald anfing, stießen sie auf ein Warnschild. » QUARAN - TÄNE ! Auf Anordnung der staatlichen Gesundheitsbehörde.
Kein Zutritt!
«
    Alle Sinne angespannt, traten sie in den Schatten der Bäume. Es ging über totes Laub und morastigen Boden, überall roch es feucht und nach Verwesung. Vor einem rostigen Stacheldraht mit einem alten, verblichenen Schild blieben sie stehen. Die Aufschrift war kaum noch lesbar:
Morven Laboratorium.
    »Laboratorium!«, rief Candice aus. »Was ist das hier?«
    Nachdem sie unter dem Stacheldraht durchgeklettert waren, befanden sie sich in einem Waldstück, das voll fremder Gerüche und den Jagdgeräuschen unsichtbarer Nachttiere steckte. Der Nebel wirbelte um ihre Beine wie ein lebendiger Geist.
    Plötzlich gab der Boden unter Candice nach und sie verschwand mit einem Aufschrei.
    Glenn warf sich auf die Knie und leuchtete mit der Taschenlampe. »Alles in Ordnung?«, rief er. Candice lag unter Blättern und Zweigen in einem Loch.
    »Ja! Was zum Teufel ist das?«
    »Sieht aus wie eine alte Fallgrube.« Er reichte ihr eine Hand, um sie herauszuziehen. »Wir müssen besser aufpassen. Das ganze Gelände könnte vermint sein.«
    Sie huschten weiter, und als sie nach einer Weile aus dem dichten Gebüsch traten, blieben sie wie angewurzelt stehen.
    »Du meine Güte«, flüsterte Candice. »So einen Riesenkasten habe ich noch nie gesehen.«
    Selbst durch die Nebelschwaden ließen sich die Umrisse des gewaltigen Gebäudes gut erkennen: massive quadratische Türme, mittelalterliche Erker und Zinnen, gotische Giebel, gewaltige Säulen und Pilaster und ein zentraler Glockenturm, der große Ähnlichkeit mit Big Ben aufwies. Das Gebäude, eine Mischung aus Schloss und Palast, war länger und breiter als ein städtischer Wohnblock, gewaltig und protzig. Und es hatte etwas von einem Spukschloss, wie Candice befand.
    In den über hundert Fenstern brannte kein einziges Licht.
    »Es ist verlassen«, wisperte Candice.
    »Nicht ganz.« Glenn wies auf einen der vielen Schornsteine, aus dem sich Rauch in den Himmel