Spur der Flammen. Roman
Freund des Präsidenten?
Glenn sagte nichts dazu und fasste sie nur leicht am Ellenbogen, als sie sich in den Besucherstrom vor dem Krankenhaus einreihten.
Sie kamen nicht weit. »Dr.Armstrong.« Abrupt machte er Halt, nahm den Hut ab und wischte sich über die Stirn. »Gehen Sie bitte voraus. Ich bin sofort wieder bei Ihnen. Ich muss mir nur rasch die Hände waschen.« Im grellen Neonlicht des Krankenhauses bemerkte Candice, wie fahl Glenns Gesicht geworden war.
Er wartete, bis sie den Fahrstuhl erreicht hatte, dann ging er auf die Männertoilette und fuhr sich mit einem feuchten Papierhandtuch über Stirn und Nacken. Seine Hände zitterten, sein Puls raste, und er wusste nicht, warum.
An Philo Thibodeau hatte er zwanzig Jahre lang nicht mehr gedacht. Nach dem Tod seiner Mutter hatte Glenn hart daran gearbeitet, seine Vergangenheit, seine schlimmen Erinnerungen, alle Gefühle hinter sich zu lassen. Er hatte Berge erklommen, um seinen Zorn zu bezähmen, er hatte schwierigste Kletterfelsen bezwungen, um diese grausame Welt zu vergessen. Von Wyoming bis in die Schweiz, von Tasmanien bis nach Montana hatte er diese Welt unter seinen Füßen zertreten, seinen Körper bis an seine Grenzen getrieben, um seine Wut, seinen Hass, seine Liebe und seine Passion am Fuß der Berge zurückzulassen. Und es war ihm gelungen.
Bis heute. Bis gerade jetzt, Minuten zuvor – das Gesicht eines Mannes, den er vergessen glaubte, durch den Panzer um sein Herz gedrungen war.
Warum hatte ihn diese Begegnung so nervös gemacht? Glenn sah im Spiegel, wie blass er wirkte. Er fand keine Erklärung für seine Gefühle. Er konnte sich an nichts erinnern, was ihn wegen Philo so plötzlich in Unruhe versetzen sollte. Aber er wusste eines: Das Wiedersehen mit Thibodeau verhieß nichts Gutes. Überhaupt nichts Gutes.
Candice wurde auf die Intensivstation eingelassen. John Masters wirkte heute in seinem Bett noch hinfälliger als beim letzten Mal. Seine Augen standen offen, sein Blick jedoch irrte herum. Seine Gesichtszüge waren verzerrt. »Professor? Können Sie mich hören?«
Eine Erinnerung stieg in ihr auf: John Masters hatte sein König-Salomo-Projekt einer illustren Zuhörerschar von achthundert Leuten vorgestellt und seine Ansprache mit den Worten beendet: »Und all dies wäre mir nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung der so gescheiten und kompetenten Dr.Candice Armstrong.« Dann hatte er sie aufgefordert, sich zu erheben und ihren Beifall entgegenzunehmen. Damit hatte sie nicht gerechnet.
Sie zog das Duchesne-Buch aus ihrer Schulterasche. »Ich habe getan, worum Sie mich gebeten haben«, sagte sie und hielt es so, dass er es sehen konnte. »Ich habe das Buch mitgebracht.«
Der Blick des alten Mannes heftete sich auf das Buch. »Ja, ja. Der Schlüssel …« Eine gehetzte, papierdünne Stimme. »Der
Stern von Babylon«,
keuchte er. »Müssen ihn finden.
Dringend
…«
»Wo ist er? Wo soll ich suchen?«
Candice dachte an den Tag, da sie den Professor zum ersten Mal getroffen hatte, bei einer Vorlesung in Royce Hall. Eine imposante Gestalt, zweiundsechzig Jahre alt damals, kraftvoll mit silbergrauem Haar wie ein Patriarch der alten Schule, seine Haut von der Sonne Moses’ und Salomos gebräunt. Candice wusste, wie umstritten er war. Der Professor hatte es sich zu seiner Lebensaufgabe gemacht, die historische Wahrheit der Geschichten des Alten Testaments zu belegen, Beweise außerhalb der Bibel dafür zu finden, dass Salomo und Abraham tatsächlich gelebt hatten. Es gab weder geschichtliche noch archäologische Zeugnisse, dass solche Männer wie Josua und David und andere mächtige biblische Gestalten je existiert hätten. Manch ein Wissenschaftler behauptete sogar, sie seien reiner Mythos. Das wiederum bestärkte den Professor umso mehr in seinem Bestreben, den Menschen wahre Helden und keine Mythen zu präsentieren. »Wenn Sie behaupten, dass Moses nie gelebt habe«, hatte er einst in einem Fernsehinterview erklärt, »unterminieren Sie die Kraft der Bibel. Sie wird zu einer reinen Märchensammlung degradiert.«
Ebendies war die Leidenschaft des Professors, sein ganzes Bestreben galt dem Ziel, die biblischen Aufzeichnungen durch archäologische und andere externe Quellen zu belegen. Er war von Wissenschaftlern angegriffen worden, die ihm vorwarfen, er sei ein Atheist und missbrauche die Wissenschaft, um den Glauben zu zerstören. Dabei strebte er genau das Gegenteil an.
Die biblischen Geschichten zu beweisen,
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