Spur der Flammen. Roman
versehen waren. Als ich zehn Jahre alt war, brachte er mir das Akkadische Alphabet bei.«
»Und sagt Ihnen das hier etwas?«
Glenn schüttelte erneut den Kopf. »Das ist keine Sprache, die ich kenne. Der Stein selbst ist auch ungewöhnlich. Meistens wurde Keilschrift auf Tontafeln geritzt, die dann in der Sonne getrocknet wurden. Hier scheint es sich eher um einen harten Stein zu handeln, in den Schrift geschnitten wurde, wie um sie haltbar zu machen. Und schauen Sie mal, wie abgegriffen der Stein ist, als ob er über Generationen weitergereicht worden wäre. Diese Steintafel wurde nicht in einer Bibliothek oder einem Archiv aufbewahrt, sie wurde benutzt. Die Sprache jedoch kann ich nicht ausmachen.«
»Ich auch nicht. Ich habe die Tafel fotografiert und werde das Foto einem Freund faxen. Wenn es jemanden auf diesem Planeten gibt, der diese Sprache identifizieren kann, dann er. Jetzt zu dem Zettel.« Sie griff in ihre Brieftasche. »Hier. Das steckte neben der Seite mit der Abbildung.« Sie reichte Glenn den Zettel.
»Das ist die Handschrift Ihres Vaters.«
Glenn las mit gerunzelter Stirn.
»›Findet sich die Antwort im Grab von Nacht?‹
Was bedeutet das?«
»Ich weiß es nicht. Nacht war ein Adliger in der Achtzehnten Dynastie in Ägypten, mein absolutes Fachgebiet. Vielleicht hat Ihr Vater deshalb nach mir verlangt. Vielleicht dachte er, ich könnte seine Frage beantworten.«
»Wie lautet denn die Frage?«
»Genau das muss ich noch herausfinden.« Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Aber woran hat mein Vater gearbeitet, das so …«, setzte Glenn an. Er hielt inne. Ihre Blicke kreuzten sich. Und beide hatten plötzlich den selben Gedanken.
»Wir nehmen meinen Wagen«, sagte Glenn.
Er gab den Beamten seine Handynummer, und Candice fragte Zora, ob es ihr etwas ausmachen würde noch zu bleiben – was ihr in der Tat nichts ausmachte, denn sie war gerade damit beschäftigt, einen Kuchen für die netten Polizeibeamten aufzutauen.
Als sie auf das Haus an der Bluebell Lane zurollten, sahen sie im Licht des trüben Nachmittags, dass ein Fenster an der Vorderfront eingeworfen war.
Candice wollte sogleich losstürzen, doch Glenn hielt sie zurück. Der Eindringling konnte noch im Haus sein.
Sie gingen umsichtig vor. Noch auf dem Fußweg verständigte Glenn die Polizei von Santa Monica über sein Handy. In der Eingangshalle blieben sie stehen und lauschten. Bei dem Gedanken an maskierte, bewaffnete Männer in irgendwelchen dunklen Ecken überlief Candice eine Gänsehaut. Glenn knipste nacheinander verschiedene Lampen an, spähte und lauschte, um sicherzugehen. Dann besahen sie sich den Schaden.
Obwohl das Haus weniger verwüstet schien als Candices Blockhaus, war es nach der gleichen Methode durchsucht worden: Wertgegenstände wie Fernseher, Videorecorder, eine mit Münzen gefüllte Flasche, eine Zuckerdose voller Dollarnoten waren unberührt geblieben, während Bücher aus den Regalen gerissen und Schubladen ausgeleert worden waren. Das Bild der Pandora hing schief, der Humidor lag zerbrochen auf dem Fußboden.
Beim Aufnehmen des Humidors stieg Candice der Duft der kleinen Zigarren in die Nase, die der Professor mit Vorliebe rauchte – ›Las Cabrillas‹, kleine Coronas aus Honduras mit einem eigenartigen Eichen- und Pfefferaroma. Der Duft rief ihr die glücklichen Tage in Jericho ins Gedächtnis zurück …
»Nichts anrühren.« Glenn stand auf der Schwelle.
Candice erhob sich hastig. »Tut mir Leid.« Das Zigarrenaroma hatte sie mit einem Mal traurig gemacht. Es kam ihr so vor, als stünde der Professor hier bei ihnen, irgendwo im Schatten; sie glaubte sogar, Blicke aus der Dunkelheit zu spüren.
Der Schreibtisch im Arbeitszimmer des Professors bot ein einziges Durcheinander aus Filzschreibern, Papieren, Notizblöcken, gerahmten Fotografien, Visitenkarten und seinen geliebten Schokoladen-karamell-Bonbons, alles von einer gleichgültigen Hand durchwühlt. Auf dem Teppich lag eine Messingplakette, die der Professor von seinen Studenten geschenkt bekommen hatte:
Es ist Gottes Ehre, eine Sache verbergen; aber der Könige Ehre ist’s, eine Sache erforschen.
« Die Sprüche Salomos, 25 , 2 .
Neben der Plakette lag eine Ausgabe einer Vierteljahresschrift des Internationalen Antiquitätenmarktes. Candice nahm sie zur Hand. Die Ausgabe datierte vor sechs Monaten. Professor Masters hatte sich erst vor sechs Monaten erneut für das Duchesne-Buch interessiert, als er nach Aussage
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