Spur der Flammen. Roman
die große Halle, deren Boden mit Binsen ausgelegt und deren Wände mit Tapisserien behängt waren. Kräuterduft lag in der Luft: Margot besaß eine Schwäche für Kamille und glaubte, durch Verstreuen dieser Pflanze im Haus Krankheiten und böse Geister fern zu halten. Alarich ging schnurstracks auf die große Feuerstelle zu, wo Flammen einladend flackerten und tanzten.
»Mein Gebieter«, hob Bruder Christofle von neuem an, »auf ein Wort. Ich bitte euch. Es ist dringend.«
Lachend warf Alarich seinen nassen Mantel ab, unter dem ein verdreckter und mit Blutflecken behafteter Harnisch zum Vorschein kam. Zwei junge Knappen halfen ihm, seine Rüstung und Unterkleider abzulegen, um anschließend den nackten Körper mit dicken, warmen Tüchern abzureiben. Derweil die Glut des Feuers seinen kräftigen, von vielen Narben übersäten Körper erhellte, meinte er von oben herab und ohne jegliches Schamgefühl: »Nichts ist dringlicher, als der Dame dieses Hauses meinen Respekt zu erweisen.« Er tauchte die Finger in eine Schale mit parfümiertem Wasser und benetzte sich die Wangen. »Nur möchte ich sie nicht aufsuchen, solange der Gestank der Schlacht noch an mir haftet.«
Ein Diener erschien mit Wein. Alarich griff sich einen Krug und setzte zu einem mächtigen Schluck an, ohne seinen seltsamen Besucher aus den Augen zu lassen.
Der Mönch war ein krummbeiniger, kahl geschorener kleiner Mann mit eingefallener Brust und aufgeschwemmtem Bauch. Kutte und Kapuze waren schmutzverkrustet wie alles andere, zudem roch er nach Schweiß, Bier und Jauche. Alarich kratzte sich den Brustkorb und rülpste genüsslich. »Was also habt Ihr mir zu berichten?«
Bruder Christofle raffte seine nasse Kutte und kehrte das nackte Hinterteil dem Feuer zu. »Im gesamten Christentum rufen Prinzen und Herzöge Männer zu den Waffen. Eine gewaltige Streitmacht, Herr, ist im Begriff, sich zu formieren, um ins Heilige Land zu ziehen und Jerusalem aus der Hand der Ungläubigen zu befreien.«
Die Kunde von einem Feldzug gen Osten war Alarich bereits zu Ohren gekommen. Auf die leidenschaftliche Rede von Papst Urban im Frühjahr hin hatten Tausende gerufen: »Es ist Gottes Wille!« Und seither fegte das Fieber des Kreuzzugs durchs Land. Ohne großes Interesse hörte er sich an, was sein Besucher zu sagen hatte. Seine Gedanken drehten sich weit mehr um fleischliche Gelüste.
»Die Ungläubigen haben schreckliches Unheil über unsere Leute gebracht«, fuhr der kleine Mann fort. »Sie treiben Christen zusammen und zwingen sie zur Beschneidung. Sie überfallen christliche Pilger, binden sie an Pferde und schleifen sie durch die Straßen von Jerusalem.«
Alarich drehte sich mal so, mal so, während die jungen Knappen seinen fröstelnden Körper rubbelnd und massierend zu neuem Leben erweckten. Ein weiterer Krug Wein. Alarich setzte ihn an die Lippen und beobachtete seinen absonderlichen Gast über den Rand des Gefäßes.
Christofle war anders als andere Mönche. Er trug kein Kruzifix um den Hals, kein Rosenkranz baumelte an seinem Gürtel, und er würzte seine Rede auch nicht mit den bei heiligen Männern üblichen Beschwörungen »Gott« und »Jesus« und »Maria«. Was er vortrug, wirkte lebendig und beredt. Mit wachsender Eindringlichkeit beschrieb er Folterszenarien, berichtete von Sklaverei und herausgerissenen Eingeweiden, und obwohl ihm im Verlauf seiner Schilderungen die Phantasie durchzugehen schien, ahnte Alarich, dass der Mönch die Wahrheit sprach. Die Ungläubigen waren nun mal so.
Was Bruder Christofles persönliche Ansicht betraf: Jenseits aller Grausamkeiten und Religionen stand zu vermuten, dass Urban in Wahrheit aus ganz anderen Gründen zum Kampf aufrief. Europa war eine Brutstätte für Kriege, Schlachten, Scharmützel; Lehnsherren, des eintönigen Lebens im Schloss überdrüssig, bemächtigten sich nach Lust und Laune der Ländereien und Häuser von Nachbarn, und sobald sie siegreich von einem kleinen Feldzug zurückkehrten, taten sich die Unterworfenen wieder zusammen, setzten sich zur Wehr, und alles ging von vorn los. Als wäre die Landkarte von Europa ein riesiges Schachbrett und das Spiel ständig in Bewegung, ohne Rücksicht auf Menschenleben, ohne einen eventuellen Frieden in Betracht zu ziehen. Streitereien ohne Ende, wie der Mönch befand, wie Schweine, die sich ums Futter raufen. Urban, der weiseste der Päpste, sah eine Möglichkeit, sein Christenvolk zu einigen – indem er ihm einen gemeinsamen Feind bescherte.
»Mein
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