Spur der Flammen. Roman
Gebieter, viele aus Eurer Ritterschaft heften sich bereits Kreuze an ihre Rüstung, malen sie auf Helme und Schilde und nennen sich Kreuzesträger. Sie werden unter dem Banner Jesu Christi marschieren. Es soll ein heiliger Krieg werden.«
Alarich war nicht beeindruckt. Als ihm zwei Knappen in ein weiches Gewand aus Fuchspelz halfen, musterte er die Platte mit gebratenen Tauben, die eben aufgetragen wurde. Sein Heißhunger musste gestillt werden, er wusste kaum, womit er anfangen sollte. Außerdem war da noch Margot, die oben wartete …
»Godefroi de Bouillon hat die Stadt Verdun verkauft und seine Ländereien beliehen, um von dem Geld seine Soldaten zu entlohnen. Sollte Alarich de Valliers’ Beitrag geringer ausfallen?«
»Ich bin kein religiöser Mensch, guter Bruder«, sagte Alarich ungeduldig, in Gedanken bereits bei Margot.
»Ihr geht nicht wegen der Religion, sondern um alte Schriften sicherzustellen. Es ist Eure Pflicht, Alarich, diese Schriften nach Frankreich zu bringen.«
Der Comte blinzelte. Schriften sicherstellen? Was sollte das bedeuten? Welch sinnloses Vorhaben! Alarich war weder des Lesens noch des Schreibens kundig, er konnte nur mit Müh und Not seinen Namen kritzeln. Margot dagegen war in dieser Kunst sehr wohl bewandert, sie besaß sogar Bücher. Darüber hinaus zeichnete sie sich als Jägerin und Schachspielerin aus und verstand es, die Laute zu schlagen. Nichts versetzte ihm einen größeren Schrecken, als wenn Margot im Damensattel auf ihrer kastanienbraunen Stute ausritt, ihren Lieblingsfalken auf dem Arm. Sei noch erwähnt, dass sie sich die neueste Mode zu Eigen gemacht hatte, das heißt unter ihrem Kleid geschnürt war, was ihre weiblichen Formen zur Geltung kommen ließ. Allein der Gedanke daran war erregend, und entsprechend gierte er danach, dieses einengende Mieder aufzuschnüren.
Da Christofle merkte, dass die Aufmerksamkeit seines Gastgebers abdriftete, fügte er hastig hinzu: »Unter den Schriften befinden sich Briefe, kostbare und sorgfältig aufbewahrte Briefe von der heiligen Maria Magdalena, in ihrer Handschrift. Die gilt es zu retten! Fürwahr eine vornehme Aufgabe, mein Gebieter.«
Aber Alarichs Magen knurrte höchst unvornehm, und beim Gedanken an Margot zwischen den Laken zuckte es auch in einem anderen Körperteil.
Während Alarich den Knochen einer Taube aussaugte, sagte Christofle: »Besagte Briefe befinden sich im Haus eines reichen Kaufmanns und Mitglieds unseres Ordens, in einer Seitenstraße der Via Dolorosa in Jerusalem, unweit des Tors des Herodes. Sie wurden im Jahre zweiundachtzig Unseres Herrn von einem Rabbiner namens Joseph in die große Bibliothek in Alexandria verbracht. Die Heilige hatte sie ihm vor ihrem Tod anvertraut und ihn gebeten, sie an den sichersten Ort der Welt zu schaffen. Joseph wusste, dass die Hüter der Bibliothek die Briefe vor denen schützen würden, die den Einfluss von Magdalena bekämpften. Denn obwohl ihr viele zugetan waren, gab es auch solche, die danach trachteten, ihre Schriften zu vernichten. Der Rabbiner sagte, er würde die Manuskripte wieder abholen, aber er kam nicht zurück. Als die Bibliothek dann in Flammen aufging, nahm eine Priesterin diese Briefe an sich und brachte sie nach Zypern und von dort aus nach Jerusalem, wo sie sich seither befinden.«
Alarich warf den Knochen ins Feuer und wischte sich die fettigen Finger an seinem Pelz ab. Er runzelte die Stirn. Was sollte dieses Gefasel von einer Bibliothek? Und dann durchschoss es ihn: Briefe, geschrieben von Magdalena! Welch ein Geschenk für seine geliebte Margot.
»Euch kommt diese heilige Pflicht zu, mein Gebieter …« Bruder Christofle verlor den Faden, als er unversehens die körperliche Abnormität des Ritters gewahrte.
Alarich merkte, was dem Mönch aufgefallen war: der sechste Finger an seiner rechten Hand. Was als Glückszeichen angesehen wurde. Wie seinem Großvater, der ebenfalls diese Eigenart aufgewiesen hatte und ein bedeutender Krieger gewesen war, verhalf ihm der zusätzliche Finger dazu, das Schwert wirkungsvoller einzusetzen. Er gab ihm mehr Druck auf die Klinge, ermöglichte einen kontrollierteren Schwung und eine im Vergleich mit anderen größere Treffsicherheit. Sein Bruder Baudouin verfügte nicht über einen sechsten Finger, was ein Grund dafür sein mochte, dass die beiden seit frühester Jugend, seit sie sich im Hause eines Oheims auf die Ritterschaft vorbereitet hatten, miteinander wetteiferten und erst als Pagen, dann als Knappen
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