Spur der Flammen. Roman
einhüllend. Aber er war nicht allein; er spürte, dass irgendwelche lichterfüllte, formlose Wesen ihn umschwirrten. Niemals hatte er eine derart himmlische Freude, eine solche Heiterkeit verspürt. Keine noch so siegreiche Schlacht, keine noch so große Leidenschaft in den Armen einer Frau ließ sich mit dieser Ekstase vergleichen.
Und dann hatte er – eine Vision.
Eine Vision, die ihn derart überwältigte, dass er zu Boden sank und den Kopf mit den Armen bedeckte. Aus dem Licht drang eine Stimme zu ihm – vielmehr spürte er sie, so als spräche sie nicht sein Gehör an, sondern sein Herz. Und bewegte es. »Ja!, rief Alarich aus. »Ja!«
Das Licht erlosch. Wie ein Kind schluchzend, lag Alarich auf der Erde, das Gesicht im Staub.
Mühsam stand er auf, wischte sich die Tränen aus den Augen und sah sich um. Es war bereits Abend, das Feld verlassen.
Langsam, wie im Traum ging er zurück zum Lager und suchte Christofle auf.
»Eitel wie ich war«, sagte er zu ihm, »hielt ich mich für einen guten Ritter. Ich verfluchte meinen Bruder für unehrenhaftes Verhalten. Dabei bin ich um nichts besser als er! Aus purem Eigennutz trat ich einem heiligen Bündnis bei, ohne an meine Männer oder unseren Auftrag zu denken. Das entspricht keineswegs den Anforderungen des Rittertums. Ich habe meinem Treueschwur zuwidergehandelt. Jetzt will ich das wieder gutmachen!«
Er berichtete von seiner Vision.Christofle hörte vor Verwunderung und Ehrfurcht zu, war doch seit dem großen Alexander persönlich keinem Alexandrier mehr das Göttliche Licht zuteil geworden. »Es war höchst wundersam, Christofle! Die Stimme, die zu mir sprach, gehörte einem Hohepriester namens Philos. Er sagte, er sei ein Urahn von mir und dass ich von ihm abstamme, sein königliches Blut fließe in meinen Adern.«
»Seid gepriesen, Herr!«, rief Christofle aus und warf sich dem Ritter zu Füßen.
»Ich werde nach Jerusalem ziehen«, fuhr Alarich fort, »aber nicht um meiner selbst willen, denn ich weiß jetzt, dass Vergebung belohnt wird. So, wie ich meinem Bruder vergebe, wird mir Belohnung zuteil, und so bitte ich auch diese armen Menschen, sie mögen mir verzeihen.« Er schaute auf die Toten um sich herum. »Ich werde nach Jerusalem ziehen, um einen höheren Auftrag zu erfüllen. Ich begreife nun, dass dies hier vorbestimmt war«, sagte er. »Genauso wie ich jetzt weiß, dass das, was zwischen meinem Bruder und Margot und mir geschehen ist, dazu dienen sollte, mir die Augen über mich selbst – über mein eigennütziges, selbstsüchtiges Leben – zu öffnen und mich hierher zu führen, damit ich den Ruf vernehme, die Alexandrier zu vereinen und unsere heilige Mission durchzuführen.« In dem gleißenden Licht hatte Alarich eine Vision seiner selbst gesehen: als helmbewehrter, machtvoller Kreuzträger auf einem feurigen Schlachtross, an der Spitze einer vieltausendköpfigen Armee, die alle wie er ein Banner trugen. Und er wusste, wie man sie nennen würde: die Ritter der Flamme. Sie würden ehrenvoll gen Jerusalem reiten, die heilige Stadt den Heiden entreißen und die heiligen Bücher retten.
Während er so sprach, ging vor Christofles Augen eine wundersame Veränderung mit Alarich vor – so als hätte sich das Licht seiner Vision in seine Seele gesenkt und strahlte durch ihn hindurch nach außen, glühte der Comte de Valliers nun vor Stolz und Ehrfurcht und Entschlossenheit. Seine Gesichtszüge hatten sich verklärt, seine Haltung drückte Selbstbewusstsein aus, seine Worte waren bezwingend. Ein Mann, der dazu bestimmt war, ein großer Anführer zu werden, ein Held, für den Männer ihr Leben hingaben.
Vom Eindruck dieser Verwandlung überwältigt, konnte Christofle nicht anders, als nunmehr das Geheimnis zu bekennen, das seine Seele vergiftete: dass er nicht besser als jeder andere Teilnehmer dieser vermaledeiten Truppe sei. Dass er hehre Absichten geheuchelt habe, in Wirklichkeit aber aus erbärmlichem Stolz mitgekommen sei. »Ich war verbittert über den Verlust meiner geliebten Kunigunde und bin deshalb in den Orden eingetreten. In einen Orden, der im Aussterben begriffen ist! Die Nachkommen der Alexandrier vergessen den Orden, sie scheren sich nicht um eine dreizehnhundert Jahre alte Verpflichtung! Was geht sie das an? Als ich sie aufsuchte und sah, wie feudal sie leben, während die ihnen anvertrauten kostbaren Schriften und Buchrollen vor sich hin rotteten, wurde mir bewusst, dass ich mich jahrelang vergeblich aufgeopfert habe.
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