Spur der Flammen. Roman
Vorfahren in transportablen Zelten aus Ziegenfell, wie die Besucher feststellten, als sie sich einer Senke mit einer Ansammlung verschieden großer Zelte näherten. Männer hockten im Schatten bei Wasserpfeife und Brettspiel, Kinder und Hunde tollten herum, während Frauen rasch Blicke aus den geöffneten Zeltklappen warfen.
Ein groß gewachsener Mann trat gemessenen Schrittes auf sie zu. Er trug die Dschellaba und das landestypische arabische Kopftuch, die
kaffiyeh
. Er stellte sich als Scheich Abdu vor und hieß die Fremden willkommen.
Während Ian sich auf Arabisch mit dem Scheich unterhielt und ihm den Zweck ihrer Reise erklärte – die Quellen einer alten Geschichte zu finden –, wanderte Candices Blick über die Zeltstadt hinaus zu einer schroffen Gebirgskette, die gute dreihundert Meter hoch aufragte und die man in diesem flachen Land ›Dschebel‹ nannte. Ihr Herz schlug schneller. War der
Stern von Babylon
etwa zum Greifen nahe?
Scheich Abdu bat die Fremden in sein Zelt und sie staunten nicht schlecht, als sie ein Fernsehgerät auf einem Kamelsattel entdeckten, das mittels Drähten mit einem Generator im Freien verbunden war. Männer erhoben sich von handgeknüpften Teppichen und verneigten sich höflich vor den Gästen, die meisten in der landesüblichen Dschellaba, bis auf zwei jüngere Männer in Bluejeans mit Handy an der Gürtelschlaufe.
Frauen in farbenprächtigen Gewändern und üppigem Goldschmuck an Händen und Armen servierten gesüßten Tee mit Gerstekeksen. Danach zogen sie sich hinter einen Vorhang zurück, der den Frauenbereich des Zeltes von dem der Männer trennte.
Bevor Glenn ihr eigentliches Anliegen vortrug, sollte Ian die Beduinen fragen, ob noch andere Fremde Nachforschungen nach einem Ort namens Dschebel Mara angestellt hätten. Eine rothaarige Frau womöglich? Ein Amerikaner mit schlohweißem Haar und weißem Bart? Doch man versicherte ihnen, dass sie seit dem letzten Herbst die ersten Besucher in diesem Beduinenlager seien.
Scheich Abdu hörte höflich zu, als Ian ihm ihrer aller Anliegen vortrug, nämlich den Ort zu finden, an dem ein Fremder namens Baskow drei oder vier Generationen zuvor Ausgrabungen vorgenommen hatte. Der Scheich zog die anderen Männer zu Rate, und sogleich setzte ein lebhafter Disput ein. Mythen und Legenden entwickeln im Laufe der Jahre eine seltsame Eigendynamik, wenn sie weitergereicht und wiederholt, ausgeschmückt und angereichert, ja sogar verfälscht werden. Trotz alledem blieben sich die Geschichten im Kern gleich: Ein verrückter Europäer hatte in der Wüste nach alten Steinen gegraben. Ian übersetzte für seine Mitstreiter. »Wir haben Glück. Sie kennen die Geschichte«, sagte er gerade, als sich ein alter Mann erhob und erregt das Wort ergriff.
Candice und Glenn sahen, wie sich lans Gesichtszüge verfinsterten. Er befragte den Alten, andere mischten sich ein, es gab eine heftige Auseinandersetzung, bis Ian sich schließlich seinen Freunden zuwandte: »Das hier ist nicht das Dschebel Mara von Iwan Baskow.«
»Was?« Candices Hoffnungen stürzten ein wie ein Kartenhaus.
»Aber sie kennen doch die Geschichte!«
»Ja, nur hat sie sich nicht hier zugetragen. Es gibt noch ein Dschebel Mara.«
»Noch ein Dschebel Mara? Wissen sie auch wo?« Glenn breitete seine Landkarte von Syrien aus, und alle scharten sich drum herum, diskutierten und argumentierten, wiegten die Köpfe, lachten, runzelten die Stirn, zeigten mit Fingern auf tausend Stellen, die Hunderte von Meilen auseinander lagen. Am Ende dann, nachdem ein jeder sich nach ausgiebigem Kopfkratzen mit dem anderen beraten hatte, nachdem sie das Unmögliche ausgeschlossen und das Mögliche erwogen hatten, nachdem Erinnerungen einer ernsthaften Prüfung unterzogen worden waren, kristallisierte sich ein möglicher Grabungsort für Baskows Unternehmungen heraus. »Hier«, verkündete der Scheich voller Stolz.
Natürlich war ›Dschebel Mara‹ nicht auf der Karte verzeichnet. So einfach ging es dann doch nicht. »Verdammter Mist«, murmelte Ian. »Sieht so aus, als müssten wir von Palmyra aus in südöstlicher Richtung bis zum Wadi Awarid, dann ein paar Meilen nach Norden und dann wieder nach Osten bis kurz vor den Al Rutaymah-Salzseen. Hier«, sagte er und tippte auf einen großen weißen Fleck auf der Karte, »liegt Wadi Raisa. In der Nähe sollen wir Dschebel Mara finden.«
Glenn hatte seine Zweifel. »Sind sich diese Männer sicher?«
Ian zuckte mit den Schultern. »Wer weiß das
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