Spur der Flammen. Roman
nur mit Wasser getauft worden, Philo jedoch mit Feuer. Den Beweis für seine Erlösung und Verwandlung lieferte sein Haar. Als die Bandagen von jenen Körperteilen abgenommen wurden, die das Feuer gereinigt hatte, stellte sich heraus, dass das Haar des Einundzwanzigjährigen schlohweiß geworden war. Ein junger Prophet mit dem Aussehen eines Alten.
Philo wertete das als Zeichen.
Eine große Aufgabe lag vor ihm, ein langer Weg zu Ruhm und Gott. Philo wusste nun, dass Lenore das erkannt hatte. Diese wunderbare, kluge Frau hatte es gewusst! Und um Philos heiliger Mission willen hatte sie das größte Opfer gebracht.
Er verstand so vieles besser, jetzt, da Jesus ihm alles erklärt hatte. Lenore würde sich nie mit etwas Unvollkommenem bescheiden. Sie hatte begriffen, dass Philo der Auserkorene auf einer heldenhaften Reise war, dem sie nicht im Wege stehen durfte. So wie Jesus vierzig Tage durch die Wüste gezogen war und Moses vierzig Jahre in der Wildnis zugebracht hatte, so wie jeder Erwählte sich einer Prüfung unterziehen musste, die ihn für seine große Aufgabe bereitmachte – die harten Lehrjahre und die Feuerprobe, die Metamorphose und am Ende die Erlösung –, so musste auch Philo jetzt den heiligen und einsamen Pfad eines Erwählten beschreiten.
Aus diesem Grunde war Lenore zum größten Opfer bereit: einen ungeliebten Mann zu heiraten. (Und sie musste heiraten, sie brauchte den Schutz der Ehe und Sicherheit.) Nun verstand Philo erst, was sie mit ihrem ›Nein‹ wirklich gemeint hatte: Ich werde mit dir gehen, Philo, aber jetzt noch nicht, denn ich würde dir nur im Weg stehen. Ich werde bei John Masters bleiben, bis du hoch genug gestiegen bist. Dann werde ich zu dir kommen. Er empfand keinen Hass mehr auf John Masters, eher Mitleid, weil der arme Mann glaubte, dass Lenore ihn liebe. Und wenn die Zeit für John gekommen war, wollte Philo gnädig mit ihm verfahren.
Noch auf dem Krankenbett erfuhr der Einundzwanzigjährige von den Notaren, dass er ein erstaunliches Vermögen geerbt hatte, dazu noch verschiedene lukrative Unternehmen, hochwertige Immobilien, hochkarätige Aktienpakete und die Lebensversicherungspolicen seiner Eltern. Doch diese Reichtümer spielten keine Rolle für einen wie Philo, dem eines Tages die ganze Welt gehören würde.
Der Brand wurde untersucht und als Unfall hingestellt. »Funkenschlag aus dem Kamin«, hieß es in dem Abschlussbericht der Versicherung, und der zuständige Sachbearbeiter lächelte in sich hinein, als er hunderttausend Dollar auf einem geheimen Konto deponierte.
Als Philo sich daranmachte, das Finanzimperium der Thibodeaus zu übernehmen und zu seiner geheimen, heiligen Gralssuche aufzubrechen, konnte er die allgemeine Betrübnis und Trauer nicht verstehen. Es war doch ein glorreicher Moment, ein Tag des Frohlockens. Warum Trübsal blasen über das, was seinen Eltern widerfahren war? Sie hatten den Märtyrertod erlitten, damit ihr einziger Sohn in die Unterwelt hinuntersteigen konnte, dort seine wundersame Wandlung erfahren und dann zu neuem Leben wiederauferstehen konnte. Ein jeder sollte sich mit Batseba freuen. Nun konnte sie die Toten persönlich schikanieren.
Als er aus seinen Erinnerungen auftauchte, stellte Philo seinen Drink beiseite und trat feierlich vor das Portrait von Lenore. Zu beiden Seiten des Bildes standen Vasen mit weißen Rosen, die täglich erneuert wurden, und in einer Alabasterschale brannte eine Flamme, die Lenores elfenbeinfarbene Haut in weiches Licht tauchte. Unter dem Portrait stand eine elegante Kommode, in Wahrheit ein feuerfester Safe, in welchem Philo ihre Briefe von einst aufbewahrte. Er hatte sie so viele Male gelesen, dass sie ihm unwiderruflich im Gedächtnis verhaftet waren.
»Lieber Philo, warum glauben die Leute, Gott sei so groß wie der Himmel? Es ist pure Anmaßung, wenn man Größe mit Bedeutung gleichsetzt. Gott kann genauso gut ein kleinster Partikel sein.«
Philo kehrte an den Couchtisch zurück. Nachdenklich schaute er auf die Buschhorn-Übersetzung und auf die mit Blut, Schweiß und Tränen eines gemarterten Missionars getränkten Originalpapierfetzen. Dann raffte er alles zusammen und warf den ganzen wertlosen Kram ins Kaminfeuer.
Schließlich nahm er das Polaroidfoto wieder zur Hand. Er schnitt das Foto in der Mitte durch, wobei er Glenn Masters zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, und die andere Hälfte den Flammen übergab. Im prasselnden Feuer flammte Candice Armstrong in ihrer blassrosa
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