Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman
ausspülte, mit Mundwasser nachgurgelte. Dann kam sie an die Tür, ohne Make-up, hübsch. »Für mich, Jack«, sagte sie, »ist es Isabels Zuhause.«
Ich gab nach. Ein Makler fand einen Mieter für ein halbes Jahr.
Hatte ich deswegen die Porzellantasse nicht mehr benutzt? Was bedeutete es dann, dass ich sie jetzt benutzte?
Zu tief schürfende Fragen. Zu sinnlose, besser gesagt.
Ich dachte an den großen Mann in dem Auto. Dave. Die geschützte Behaglichkeit des Autos, die gedämpften Geräusche der nächtlichen Stadt um uns her, die Blätter, die im Licht der Straßenlaternen wirbelten und auf die Motorhaube fielen. Geheime Operationen, die verraten wurden, allmächtiges Drogengeld, sein umfassendes Wissen. Überzeugend. Heute Morgen, mit dem Sonnenlicht in meinem Schoß, so tröstlich wie eine warme Katze, kam es mir unwirklich vor. Was brachte ihn zu der Überzeugung, ich könnte Gary finden? Was sollte Des mir noch mehr erzählen können?
Das Telefon klingelte. Eine ängstliche Beklommenheit.
»Jack?«
Rosa. Erleichterung.
»Wurde aber auch Zeit, dass du ans Telefon gehst«, sagte sie. »Ich rufe an, um dir mitzuteilen, dass in dem Augenblick, in dem ich dachte, für mich sei alles vorbei, dieses Bild von einem Mann, dieses absolute Sahneschnittchen, in mein Leben getreten ist.«
Ich räusperte mich. »Bisschen früh für solche Gespräche. Wie kann denn ein Mann ein Sahneschnittchen sein?«
Langer, leicht entnervter Seufzer. »Wo lebst du, Jack? In den Siebzigern gestrandet. Du solltest dich mal mit jüngeren Leuten zusammentun.«
»Hab ich schon versucht. Ist mir nicht besonders gut bekommen. Wie alt ist denn dieses Sahneschnittchen?«
»Ah. Das Küsschen aufs Ohr. Ich hab sie neulich in Rod Pringels Sendung gesehen. Strahlend. Wirklich umwerfend.«
»Wie alt ist das Sahneschnittchen?«
»Jack, was spielt das für eine Rolle? Zwei Menschen sind im Einklang miteinander, darauf kommt es an, sonst nichts.«
»Wie alt?«
»Hmm. Um die dreißig. Demnächst.«
»Etwas präziser bitte. Wie alt?«
»Mein Gott, du nervst. Vierundzwanzig. Ungefähr. Sehr reif.«
»Zumindest ein reifer Partner tut einer Beziehung immer gut. Was macht er?«
»Er ist ein Sommelier. Im Maquis in South Yarra. Er weiß so unglaublich viel über Wein, er ist eine richtige Autorität, was Wein angeht, er …«
»Ein Weinkellner. Drei Wochen TAFE -Kurs. Du treibst es mit einem Weinkellner und hast sechzehn Jahre Vorsprung. Wie schaffst du es nur, solche Sachen auch noch richtig aussehen zu lassen?«
»Vierzehn. Du hast kein Herz. Nicht eine Unze Poesie steckt in dir. Viele, viele solcher Beziehungen sind äußerst erfolgreich.« Pause. »Äußerst. Äußerst.«
»Äußerst? Wer hat das gesagt? Elizabeth Taylor? Zsa Zsa Gabor? Katharina die Große?«
»Jack, warum könnte Lucy sich an Dads Tod schuldig fühlen?«
Plötzliche Themenwechsel sind bei Rosa absolut normal, aber dieser hier erwischte mich doch auf dem falschen Fuß.
»Was? Wie kommst du denn darauf, dass sie sich schuldig gefühlt hat?«
»Das hat sie gesagt. In ihrem Tagebuch. Ich hab alle ihre Tagebücher und Briefe in einer großen Schachtel, und manchmal, wenn ich in der richtigen Stimmung bin, lese ich darin. Ich habe gerade das Tagebuch gelesen, das sie angefangen hat, nachdem ich geboren wurde.«
»Tagebücher?« Ich sah zur Digitaluhr an der Mikrowelle. »Zwanzig nach acht. Ich dachte, du wachst sowieso nicht vor Mittag auf? Ein Problem mit den Medikamenten, oder? Du kannst es mir ruhig sagen.«
Leichtes Lachen. »Ich bin seit Stunden auf, war schon am Strand spazieren und hab gelesen. Hör mal, hier hab ich's, da steht: ›Sonniger Nachmittag. Dad hat mich zum Friedhof gefahren. Ich war noch ziemlich gefasst, solange ich an Bills Grab stand, aber auf dem Weg nach Hause war mir plötzlich alles zu viel. Dad hat so getan, als hätte er die Tränen nicht bemerkt. Was mich Tag und Nacht umtreibt, ist, dass ich meinen Liebling hätte retten können. Das werde ich wohl mit ins Grab nehmen!‹«
»Das ist einfach emotional«, sagte ich. »Manche sind so. Geben sich selbst an allem die Schuld. Er ist in eine Schlägerei geraten.«
»Eine Schlägerei? Ich dachte, er wäre überfallen worden. Sie hat immer so geredet, als sei er überfallen worden.«
»Er ist in eine Schlägerei geraten, vor einem Pub. Grandpa hat mir das erzählt. Oft.«
Wie ich da so allein saß, die Sonne auf meinen Beinen, die Teetasse in meiner Hand, mein Vater verschwunden, ein
Weitere Kostenlose Bücher