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Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Titel: Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Temple
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rumzuärgern und Leute in anderen Zeitzonen mit Anrufen aufzuwecken.«
    »Auch eine klare Verbesserung im Vergleich zum Hausputz.«
    »Ich hab mich mal ein bisschen über dich umgehört«, erklärte Lyall, den Blick an meinen geheftet. »Du wirst als ein Mensch mit zweifelhaftem Ruf beschrieben, der nur knapp einem Verfahren wegen Erschießens von zwei ehemaligen Polizisten entgangen ist.«
    Ich sagte: »Na ja, dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung.«
    »Erzähl's mir, wenn ich liege, nur für den Fall, dass ich bei den grausamen Details in Ohnmacht falle.«
    Am nächsten Morgen wachte ich früh auf, setzte mich auf und hatte keine Ahnung, wo ich mich befand. Lyall legte eine Hand auf meinen Arm und zog mich hinunter.
    Später an der Haustür sagte ich: »Ein guter Tropfen, dieser Hill of Grace.«
    Sie trat an mich heran, drehte die Handflächen nach außen, legte sie an meine Oberschenkel, weit oben, die kleinen Finger in meiner Leiste. Bot mir ihren Mund. Ich küsste ihn, eine lustvolle, köstliche Berührung, die ich nur unwillig beendete.
    »Bartstoppeln sind eine Gefahr«, sagte ich atemlos.
    Sie trat zurück, legte zwei Finger auf mein Kinn und strich darüber. »Bartstoppeln. Wachsen sich heutzutage schon zur Plage aus, sagt die Weltgesundheitsorganisation.«
    Wir blickten uns an.
    »Ruf an«, sagte sie. »Ruf an, oder ich verfolge und belästige dich. Klar?«
    Ich rieb mir die Bartstoppeln am Kinn. »Stalking ist eine Straftat in Victoria.«
    Ein Nicken. »Dann zeig mich an. Wirst schon sehen, wo dich das hinführt.« Ich antwortete: »Zeig's mir nur. Zeig mir alles.«
    Zu Fuß nach Hause an einem frühen Wintermorgen, während die kalte Stadt zum Leben erwacht, Ulmen-, Eichen- und Platanenblätter in nassen, schmutzigen Haufen, beißende Abgasgerüche, ein paar reiche Leute in teuren Autos, saubere, rosafarbene Menschen, die großäugige Kinder, angezogen wie Holzfäller, in Kindersitze zwängten. An der Grattan-Street-Ampel redete eine Frau in einem grauen Geländewagen, blond, mit vor Wut schmalen Lippen und brennenden Augen auf den Fahrer des Wagens ein. Er war dunkelhaarig, blass, trug einen Anzug und blickte starr geradeaus. Sein Fenster glitt herunter, und er warf eine halbgerauchte Zigarette auf die Straße, ohne darauf zu achten, wo sie landete. Ein Schnitt vom Rasieren unter seiner Kotelette hatte eine kleine Träne aus getrocknetem Blut hinterlassen. Als sich das Fenster wieder hochschob, schrie die Frau gerade: »In unserem Bett, du verdammter Mistkerl.«
    Ich wechselte einen Blick mit einer älteren Frau, die mit mir an der Ampel wartete. »Es sind ja immer die Kinder, um die ich mir Sorgen mache«, sagte sie.

u Hause unter der Dusche, den Strahl auf hart gestellt. In Wohlempfinden und Hochstimmung mischten sich vage Schuldgefühle. Als ich mich anzog und über Lyall nachdachte, sah ich Garys Schlüssel auf der Kommode liegen, die Isabels Bruder uns geschenkt hatte.
    Mit nur einem Socken an, nahm ich sie zur Hand. Es waren sechs: Haustür, Wohnungstür, Hintertür, Alarmsystem, Briefkasten. Und ein langer Schlüssel.
    Postfachschlüssel. Wieso hatte ich den vorher nicht bemerkt?
    Deshalb war sein Briefkasten leer gewesen. Er hatte irgendwo ein Postfach. Wo?
    Wahrscheinlich im Postamt Toorak, an der Toorak Road. Seine Wohnung lag nur ein paar Blocks entfernt.
    Keine Nummer auf dem Schlüssel. Ich konnte nicht jedes Postfach im Postamt Toorak ausprobieren, ohne festgenommen zu werden.
    Ich ging nach unten, aß Müsli. Dachte nach. Garys Postfachnummer war kein Geheimnis. Ich aß meine Schale mit Tutenchamuns Proviant für das Leben nach dem Tode leer, fand das Telefonbuch und die Nummer. Erst beim Wählen dämmerte mir, wie dumm ich war. Das durfte ich nicht von meinem Telefon aus machen. Nach allem, was ich wusste, war mein Telefon direkt mit der öffentlichen Adressverwaltung eines Einkaufszentrums verbunden.
    Im Büro kontrollierte ich den Anrufbeantworter. Mrs. Davenport. Cyril Wootton würde warten müssen.
    Ich überquerte die Straße und klopfte an McCoys Haustür. Klopfte. Und klopfte.
    Nach langer Zeit erklang ein Geräusch, als polterte ein Fass eine Treppe herunter. Dann tierische Laute, schweineähnliche Grunzer, Grunzer, die zu Worten wurden. Unflätige, wütende Worte. Die Tür erbebte, erbebte noch mal und wurde mit einer Wucht aufgerissen, die sie von der Innenwand wieder abprallen ließ.
    McCoy füllte den gesamten Türrahmen aus. Von der Hüfte aufwärts unbekleidet, ein

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