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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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fast voll noch, und nahm einen Keks heraus, knabberte krümelnd, auch das egal, wen kümmerte schon der Zustand ihrer Wohnung?
    Und wen der Zustand ihrer Seele? Ungehalten wischte sie eine, wirklich nur eine Träne fort. Christian jedenfalls nicht, sonst hätte er sie längst belagert, bis sie den Weg freigäbe, und sich nicht abspeisen lassen mit flügellahmen Ausreden. Ihre Therapeutin, ja, die schon, aber das zählte nicht wirklich, schließlich wurde sie dafür bezahlt. Eigentlich vertraute sie ihr. Hatte es zumindest mal getan. Doch nun, da sie glaubte, ihre Angst entspringe allein ihrem Trauma, sei nicht in der Realität begründet, war sie sich nicht sicher, ob sie das noch konnte. Mein Trauma, dachte sie spöttisch, nichts lag ihr ferner, nichts vermochte, das Labyrinth ihrer augenblicklichen Angst zu durchdringen oder wenigstens zu dämpfen.
    Ihre Augen tränten, einzig vor Müdigkeit, und ihr Blick zerfloss. Sie überredete sich, Kaffee zu kochen, und gab ihren Posten so lange auf.  Qué será, será , flog diese alberne Melodie sie an, und sie starrte bezwingend auf die laut gurgelnde Maschine, bis die Flüssigkeit durchgelaufen war. Sie goss den Becher mit der Aufschrift »The Boss« voll und nahm ihn mit auf ihren Posten. Heiß und schwarz, hoffentlich würde sie wacher davon, wachsam. Sie nippte vorsichtig, kniff die Augen gegen den Dampf zusammen und hätte beinahe die Frau und das Kind übersehen, die auf dieses Haus zukamen. Wohl kaum zu ihr, sie reckte sich auf Zehenspitzen, um besser sehen zu können, nein, sie kannte sie nicht.
    Die Klingel ertönte, und sie fuhr herum. Eine Frau mit einem Kind, was wollten sie von ihr? Ein Kind nahm man jedenfalls nicht mit, wenn man jemanden ermorden wollte, oder? Nein, von ihnen drohte keine Gefahr, bestimmt nicht, versuchte sie, sich zu überzeugen, und auf einmal wünschte sie sich nichts sehnlicher, als nicht länger allein zu sein in dieser zu großen Wohnung mit den allzu vielen Fenstern, die ihr nicht mehr wie eine schützende Burg vorkam, sondern wie ein Kerker. Rapunzel, dachte sie und wollte endlich Leben um sich herum spüren, reden gar, mit jemandem, der sie nicht kannte, nichts von ihr wusste. Sie ging zur Tür und drückte auf die Gegensprechanlage.
    »Guten Tag, mein Name ist Marilene Müller, ich bin Anwältin aus Wiesbaden und würde mich gern mit Ihnen unterhalten.«
    Sie zögerte. Eine Anwältin? Das klang jedenfalls nicht nach unverfänglichem Geplauder. Dennoch obsiegte ihr nicht zu unterdrückender Wunsch nach Gesellschaft. »Gut, kommen Sie rauf. Aber bitte nehmen Sie die Treppe, ja?«
    Sie legte auf, drückte auf den Türöffner und drehte den Schlüssel der Wohnungstür herum. Zögerte abermals, noch konnte sie zurück, aber nein, sie zog die Tür auf und ging zum Treppengeländer, beugte sich hinüber, um etwas sehen zu können. Zwei behandschuhte Hände fuhren am Geländer entlang nach oben, eine kleine in Fäustlingen vorneweg, und eine größere hinterdrein.
    »Warum können wir nicht den Fahrstuhl nehmen?«, ertönte die Stimme eines Jungen, glaubte sie. Mädchen wären vielleicht nicht so begierig auf jeden zu drückenden Knopf, der etwas in Gang setzte. Soweit sie wusste.
    »Weil ich nie den Fahrstuhl nehme. Erst, wenn es gar nicht mehr geht, so ungefähr ab zehn Stockwerken.«
    Die Schritte von zwei Personen waren unterscheidbar, das demonstrative Stampfen des Jungen, der ein altkluges »Glaub ich nicht, dass du das schaffst, du bist doch Raucher« von sich gab, und das wesentlich gemächlichere Auftreten der Anwältin, die ein bereits leicht kurzatmiges »Da könntest du recht haben« ausstieß. Die Normalität der Unterhaltung beruhigte sie vollends und sie atmete erleichtert aus.
    ***
    Marilene hatte den Wagen im City-Parkhaus abgestellt und war mit Arne quer durch die Fußgängerzone gelaufen. Am Denkmalsplatz waren sie abgebogen zur Nesse-Brücke, die sie, angesichts der Kälte, die garstig in die Wangen kniff, hastig überquert hatten. Sie steuerte instinktiv das richtige Haus an und überließ es Arne, zu klingeln, der danach hastig seinen Handschuh wieder überzog. Sie schaute über ihre Schulter. Was für ein phantastischer Blick, befand sie, hier eine Wohnung zu haben könnte ihr schon gefallen. Leider gab ihre finanzielle Lage das nicht her. Es war ein glasklarer Tag, die Sonne strahlte vom eisblauen Himmel, dass es in den Augen schmerzte, und das gekräuselte Wasser wirkte wie gemalt, so unecht wie die Folien, die in

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