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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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noch. Er hatte gerade erst vergeblich die Paketnummer abgezogen, als zwei Männer sich genähert hatten. Wollten sie zu ihr? Er hatte sich die Mütze vom Kopf gerissen, den Mantel übergezogen und war, einen Blumenstrauß in der Hand, um eine harmlose Einladung vorzutäuschen, zu ihnen geeilt, war suchend mit dem Finger an den Klingelschildern entlanggefahren, betont mühsam die kleine Schrift entziffernd. Aber es hatte ihnen niemand geöffnet, und so war er zum Nachbarhaus gegangen, als habe er sich im Haus geirrt. Sie hatten spekuliert, ob sie vielleicht doch verreist sei, er hatte es, schon fast außer Hörweite, gerade noch mitbekommen. Sie war es, die nicht öffnete. Und er wusste es besser. Später war niemand mehr gekommen. Und nun hockte er bereits seit sieben Uhr hinten im Transporter und beobachtete durch die Frontscheibe das spärliche Geschehen.
    Sie war da. Sie war wach. Die Innenbeleuchtung ihres Kühlschranks hatte sie verraten, ein schwacher Lichtschein, der niemandem aufgefallen wäre, wenn er nicht genau darauf lauerte. Danach hatte er sie schemenhaft am Fenster vorbeihuschen sehen. Das Fernglas, mit dem sie aus vermeintlich sicherer Entfernung herausschaute, blitzte hinter der Scheibe auf. Sie stand nahezu reglos, nur gelegentlich führte sie eine Tasse oder ein Glas zum Mund. Sie wartete. Auf ihn. Für einen Moment erlaubte er sich die Vorstellung, es handele sich um ein erotisches Abenteuer, der Gedanke wieder so verlockend wie auf der Fortbildung. Dennoch schob er ihn alsbald beiseite, zu kalt, zu unwirtlich die Umgebung, zu ernst die Gefahrenlage. Und doch, vielleicht könnte er beides verbinden? Dafür müsste er erst einmal ins Haus gelangen, verdammt.
    Die Eingangstür wurde von innen geöffnet. Das half ihm herzlich wenig, so schnell konnte er nicht dort sein, er brauchte jemanden, der hineinging. Ein älterer Silbergrauer mit jüngerer Kunstblondine am einen und Einkaufskorb am anderen Arm verließ das Haus. Und würde sicherlich bald wiederkommen, es war zu kalt, um sich lange draußen aufzuhalten. Er zog schon mal seine Lieferantenverkleidung über und legte Päckchen und Klemmbrett neben sich, um vorbereitet zu sein, als er bemerkte, wie sich eine Frau mittleren Alters und ein blond gelockter Junge dem Haus näherten.
    Er zögerte. Wenn sie ein anderes Haus ansteuerten, würde er seine Tarnung überstrapazieren. Ebenso, wenn das Haus zwar stimmte, ihnen aber niemand öffnete. Die Wahrscheinlichkeit war groß, denn öffnen konnte nur Inka Morgenroth, die, falls er nicht, ohne es zu merken, eingeschlafen war und etwas verpasst hatte, im Moment die Einzige im Haus war. Wollten die beiden zu ihr? Und würde sie eine Frau und ein Kind hineinlassen? Er beschloss, es zu riskieren.
    ***
    Sie hatte kaum geschlafen, zwei, drei Stunden höchstens, auf der Couch, nicht im Bett, hatte gar nicht erst das trügerische Gefühl von Geborgenheit, das ihr warmes Schlafzimmer, das dicke Federbett boten, aufkommen lassen wollen. Fetzen von flüchtigen Alpträumen hatten sie durchgerüttelt, die Beklommenheit noch mit allen Sinnen greifbar, nicht aber die Szenen selbst, der Film, dessen Ende zu kennen sie vielleicht, nur vielleicht retten könnte. Eine abgrundtiefe Hoffnungslosigkeit überkam sie, fuhr ihr mit scharfen Krallen in den Magen, dass ihr speiübel wurde. Sie unterdrückte das Würgen, hatte ohnehin nichts gegessen, was sich bahnbrechen könnte, sah sich wieder über der Kloschüssel hängen, damals, als sie schon am zweiten Tag der unwürdigen Prozedur gewusst hatte, dass sie schwanger gewesen war. Gewesen. Sie hatte es Christian nie erzählt, hatte vielleicht da schon geahnt, dass er kein Mann für schwierige Zeiten war. Sie atmete tief ein und wieder aus, qualvoll stockend, bezwang auch das Schluchzen, das ihr entweichen wollte. Das Weinen um all die Dinge, die sie nicht mehr erleben würde.
    Sie drückte die Hände ins schmerzende Kreuz und merkte erst jetzt, dass ihre Füße, die unter der Wolldecke hervorgekrochen sein mussten, einfach nicht warm werden wollten. Wie wunderbar banal, dachte sie. Wie egal. Sie klaubte den letzten Rest ihres willfährigen Verstandes zusammen, du musst etwas essen, befahl sie sich, und ging zum Kühlschrank und öffnete ihn. Allein der Anblick des Inhalts verursachte Bauchgrimmen, unnütz gesundes Zeug. Unverrichteter Dinge knallte sie die Tür wieder zu. Im Schrank über der Spüle stieß sie auf eine vergessene Plätzchendose. Sie schwenkte sie hin und her,

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