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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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beschäftige sich bereits länger mit dieser existenziellen Frage. »Manche ja, manche nein«, antwortete sie, »und wie kommst du jetzt darauf?«
    »Aus der Zeitung vom ADAC. Oder kommt das vielleicht vom Autofahren, dass man Windeln braucht? Ich meine ja nur, weil da so viele Anzeigen sind, Treppenlifte und Windeln. Treppenlift finde ich ja in Ordnung, mich würde nur interessieren, ob man damit wohl auch zu zweit fahren kann. Aber Windeln? Bäh! Wie alt ist man, wenn man die braucht? Wenn man sie braucht, meine ich. Ich finde, man sollte das vorher wissen, also bevor man so alt ist …«
    Marilene blendete sein Geplapper aus und zog sich die letzte Stufe hoch. Kein Mensch zu sehen. Sie ging zur Wohnungstür und merkte jetzt, dass sie nur angelehnt war. »Frau Morgenroth?«, rief sie und stieß die Tür vollends auf. Keine Antwort.
    »Vielleicht musste sie aufs Klo, und wir sollen schon mal reingehen«, mutmaßte Arne.
    Sehr pragmatisch, fand Marilene, zögerte jedoch. Sie hob frierend die Schultern. Es zog. Wieso zog es? Niemand würde bei dieser Kälte für Durchzug sorgen. Sie runzelte die Stirn. Etwas stimmte hier nicht.
    »Frau Morgenroth?«, wiederholte sie zaghaft und schob Arne hinter sich. »Geh«, flüsterte sie, »nein, bleib«, wünschte, sie hätte ihn nicht mitgenommen, aber wie hätte sie auch ahnen sollen, dass hier Gefahr drohte, das war unlogisch, warum sollte jemand eine Frau entführen, sie freilassen und dann erst umbringen, da hätte er sich das Freilassen doch sparen können. Also gut, sie drückte das Kreuz durch, du spinnst, sagte sie sich, es ist alles in Ordnung.
    Dennoch legte sie eine Hand auf Arnes Schulter, als sie zaudernd Schritt um Schritt weiter in die fremde Wohnung vordrang. Arne imitierte sie, schlich mit übertriebenen Storchenschritten neben ihr her, und wäre sie nicht so angespannt gewesen, hätte sie lachen müssen über seine Darbietung.
    Ein Knall! Beide fuhren erschrocken herum. Nur die Wohnungstür, Marilene atmete erleichtert aus. Arne steckte den Schrecken schneller weg und wandte sich wieder der Wohnung zu. »Ach so«, flüsterte er, und sie folgte seinem Blick. Die Balkontür stand offen. Ein graugrüner Vorhang flatterte im Wind, wie zum Abschied winkend. Abschied? Arne war fast dort.
    »Nein!«, schrie sie und stürzte zu ihm, packte ihn an den Schultern und drehte ihn zu sich herum. »Bitte, bleib hier.« Sie sah, wie ihm die Farbe aus dem Gesicht wich, als er begriff, was sie meinte, sie spürte, wie er zu zittern begann. Scheiße!, schrie sie innerlich, was habe ich nur getan? Ausgerechnet Arne. »Setz dich«, befahl sie mit harter Stimme, sie drang zu ihm durch, er nickte, zitternd zwar, aber er gehorchte und ließ sich auf den Boden hinunter.
    Sie strich ihm sanft über den Kopf, verzeih mir, und wankte hinaus, niemand zu sehen, natürlich nicht, wagte einen schnellen Blick über die Brüstung, ein Trugbild sicherlich, sie zuckte zurück und blinzelte heftig die Tränen fort, beugte sich abermals hinüber. Arme und Beine abgespreizt in grotesken Winkeln, die achtlos weggeworfene Gliederpuppe eines Kindes, lag Inka Morgenroth reglos im Schnee, inmitten von Rhododendren, die ihre weiße Last abgestreift hatten und sie vor begehrlichen Blicken schützen würden.
    Zu hoch, dachte Marilene, das war zu hoch, als dass sie den Sturz überlebt haben konnte. Sie wich zurück ins Wohnzimmer und schloss die Tür. »Schau, ob der Fahrstuhl da ist, schnell!«, wies sie Arne an und scheuchte ihn hinaus, schnappte sich die Wolldecke, die auf der Couch lag, und alles, was an Kleidung an der Garderobe hing, und jagte Arne hinterher.
    ***
    Sie waren kaum zwanzig Minuten unterwegs, als Enno Lübbens Handy klingelte, er sich das Headset aufs Ohr zog und das Gespräch annahm. Eine einseitige Unterhaltung, bis auf »Moin« und »Ja, verstehe« gab er nicht viel von sich und endete mit einem »Gut, wir kommen.«
    Wer ist »wir«?, überlegte Zinkel, während Lübben aufs Gas trat, vor dem zuckelnden holländischen Wohnwagen-Gespann einscherte und mit einem keineswegs risikolosen Manöver in die Autobahn-Ausfahrt Westerstede-West scherte, nur um in der Gegenrichtung wieder aufzufahren. Zinkel hielt sich am Griff über der Tür fest. Von der Rückbank ertönte dreistimmiges Kreischen, unaufgeregt und vertrauensvoll, wie bei einer Achterbahnfahrt, wohlige Schrecksekunden, wenn in der Gewissheit, dass Technik und Fliehkraft das Überleben sichern, der Magen hüpft.
    »Inka

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