Spur nach Ostfriesland
du das anders siehst, bin ich dabei.«
»Ich denke, du hast recht, ihr dürfte keine Gefahr drohen. Jedenfalls nicht von der Seite.« Er richtete sich drohend auf, nur um sogleich wieder zusammenzusacken. Das Ziel seines Ärgers war vorläufig tabu. Wenn der Fall erst gelöst war, dann würde er sie zur Schnecke machen, und zwar so gründlich, dass sie im Leben nicht mehr auf den Gedanken käme, auf eigene Faust zu agieren. Bis dahin wäre es besser, sie käme ihm nicht unter die Augen.
Das Schrillen des Telefons beendete die gedankliche Tirade. Er überließ es Zinkel, das Gespräch anzunehmen, und verfolgte, wie dessen Gesicht einen fast heiteren Ausdruck annahm, bevor er den Hörer wieder auflegte.
»Okay.« Zinkel dehnte die Silben. »Das war Sprenger. Sie haben Spuren von Franziska in Gentners Auto gefunden. Nicht viele, aber durchaus mehr als in der Jagdhütte. Leider nicht im Kofferraum, das wäre nicht mehr wegzudiskutieren, sondern auf dem Beifahrersitz.«
»Wenn sie unter Drogen gesetzt worden ist, war sie nicht unbedingt bewusstlos, sondern nur willenlos, also finde ich, dass der Beifahrersitz der logische Platz ist. Die Indizienlage hat sich somit eklatant verbessert«, feixte Hartmann und stemmte sich hoch. »Ich geh zum Staatsanwalt, der soll den Haftbefehl besorgen.«
»Ist das wirklich klug? Wenn wir ihn jetzt verhaften, wird er uns nie zu Franziska führen«, wandte Zinkel ein. »Daumenschrauben sind nun mal kein Mittel der Wahl, also warum sollte er?«
»Was schlägst du vor?«
»Ist noch jemand dran an ihm?«
»Ja. Gefährlich wird es erst, wenn er es wieder schafft, unsere Leute abzuhängen.«
»Dann versuch doch mal, ob da nicht Verstärkung ran kann. Gruber vielleicht, der ist ein Fuchs.«
»Gute Idee«, befand er. Patrizia streckte zaghaft ihren Kopf zur Tür herein. »Kannst du versuchen, etwas tiefer zu graben?«, wandte Hartmann sich an sie. »Kontakte, die Gentner hat, deren Immobilienbesitz, check auch, ob seine Frau oder die Kinder nicht noch irgendwo ein Grundstück oder ein Haus haben. Wir müssen die Suche irgendwie ausweiten, denn ich will mich nicht darauf verlassen, dass er uns zu ihr führt. So leicht wird er es uns nicht machen.«
»Geht klar.« Patrizia sah keinen von ihnen direkt an, sondern stiefelte zu ihrem Schreibtisch und begann augenblicklich, auf der Tastatur ihres Computers zu klappern. »Was dagegen, wenn ich mir Hilfe hole?«, fragte sie Richtung Bildschirm. »Ich kenne jemanden, der so ziemlich jede existierende Datei aufstöbern kann.«
»Sie meint einen Hacker«, beantwortete Zinkel seine nicht ausgesprochene Frage.
»Das hört sich nicht direkt legal an, aber was soll’s. Ich will es bloß nicht wissen.«
»Du verstehst doch sowieso nicht, worum es geht, selbst wenn sie es dir sagen würde«, frotzelte Zinkel.
»Du etwa?«, entgegnete Hartmann. »Mach dich lieber auf zu deiner Therapiesitzung.«
***
Paul Zinkel klingelte am Eingang zur Praxis. Eigentlich, dachte er, hätte Hartmann eine Therapie nötig und selbst hierherfahren sollen. Er schien ziemlich durch den Wind zu sein in letzter Zeit, nicht nur, was seine ungeklärte Beziehung zu der Anwältin anbelangte, sondern auch beruflich. Er wirkte so lustlos und frustriert wie lange nicht, und das sonst in dieser Phase eines Falles einsetzende Jagdfieber schien einem passiven Fatalismus gewichen zu sein, den er sich nicht erklären konnte. Dabei war er nach der Trennung von seiner drögen Ehefrau zunächst regelrecht aufgelebt, nur leider hatte der Zustand nicht lange angehalten.
Etwas gärte in ihm, und Zinkel hätte gern gewusst, was das war. Früher wäre Hartmann von selbst damit herausgerückt, doch die Zeiten waren wohl vorbei. Er seufzte. Niemand da. Scheiß Fasching. Er würde sich auf die Stelle in Leer bewerben. Dort blieb man davon wenigstens verschont.
Einer Eingebung folgend umrundete er das Haus und stieg die Stufen zum Eingang empor. Bevor er läuten konnte, wurde die Tür von innen geöffnet.
»Ich hab Sie schon mal gesehen«, sagte die spärlich bekleidete, weder ganz junge noch ganz nüchterne Blondine, die sich gegen den Türrahmen lehnte.
Er vermochte nicht zu sagen, ob sie lasziv wirken wollte oder lediglich Halt suchte. »Ertappt«, gestand er, »ich suche Ihren Mann.«
»Bei Ihrem letzten Besuch hätten Sie ihn angetroffen, heute nicht.« Sie hob die Brauen, drehte sich ruckartig wie die Ballerina auf einer alten Spieluhr um und verschwand im Innern des Hauses.
Zinkel
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