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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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ich das wüsste, ginge es mir vielleicht besser«, sagte sie, »aber Ina ist jetzt schon fast fünf Jahre tot, und ich kann immer noch nicht sagen, was schiefgelaufen ist.«
    »Sie hat Selbstmord begangen?«
    »Nein, es war ein Unfall. Mir ist schon klar, dass das immer und überall hätte passieren können, dass es eigentlich egal ist, mit wem sie unterwegs war. Es ist mir aber nicht egal, nie gewesen. Anton ist ein Skinhead. Er fährt Motorrad. Er hatte getrunken. Er hat überlebt. Ina nicht. Wie kann es mir da egal sein, was er für ein unverantwortlicher Mensch ist?« Ihre Augen flossen über. »Ist es nicht legitim, dass ich denke, wenn sie nicht in die rechte Szene abgedriftet wäre, würde sie noch leben? Ist es so unverständlich, dass ich mich mit der Frage herumquäle,  warum  sie in diese Szene abgedriftet ist?« Sie schrie fast.
    »Ja, nun«, sagte Zinkel, ging zu ihr und tätschelte ihr unbeholfen die Schulter. Auch diese Fragen sollte sie wohl eher mit ihrem Mann erörtern, nicht nur, weil er nun mal ihr Mann war. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihre Tochter gewollt hätte, dass Sie sich in Schuldgefühle verstricken.«
    »Ich schon«, entgegnete sie. »Im Grunde ging es siebzehn Jahre lang um kaum etwas anderes. Sie war immer rebellisch, schon als Baby eigentlich. Als sie dann sprechen lernte, wurde sie noch schwieriger, bis sie diskutieren lernte, ab da war sie nicht mehr zu bändigen. Außer durch Missachtung. Dafür habe ich mich nicht hergegeben. Ich habe all die Diskussionen geführt, bin ihr nie ausgewichen, weil ich sie ernst genommen habe. Weil ich sie liebte. Aber um mich ist es natürlich nie gegangen.«
    Man merkte ihr nicht an, dass sie getrunken hatte, stellte Zinkel fest, weder sprach sie undeutlich, noch wirkten ihre Gedankengänge verschwommen.
    »Ich war nur die, an der sie ihre Wut und Frustration ausgelassen hat, weil sie an meinen Mann nicht herangekommen ist. Alles, was an ihm einfach abgeprallt ist, hat mich getroffen. Ich habe mich schuldig gefühlt, weil ich es nicht geschafft habe, zu vermitteln. Und das war ihr durchaus bewusst. Ich glaube, sie hat gehofft, dass sie über den Umweg ihr Ziel erreichen könnte, wenn schon nicht direkt.«
    »Ist ihr das gelungen?«, fragte er. Er gestand sich seine Neugier ein.
    »Ach, i wo. Mein Mann hat so seine Schubladen, in die er die Menschen steckt, und wenn man einmal in einer drin ist, kommt man da nicht mehr raus. Privaten Umgang pflegt er nur mit Leuten, die angenehm weichgespült sind, darum auch sein Desinteresse an Ina.«
    Zinkel nahm an, dass sich sein Desinteresse auch auf seine Frau erstreckt hatte. Wenn sie etwas nicht war, dann weichgespült. Wie auch immer, das eheliche Drama ging ihn nichts an, er würde ihren Schmerz nicht lindern können, und die Details, die er erfuhr, brachten den Fall seiner Aufklärung keinen Schritt näher.
    »Im Grunde«, sagte er, »haben Sie längst erkannt, was schiefgelaufen ist, nicht wahr? Also ziehen Sie die Konsequenzen daraus. Es ist an der Zeit, dass Sie wieder anfangen zu leben. Klettern Sie aus welcher Schublade auch immer. Sie schaffen das, Sie sind doch eine starke Persönlichkeit.« Er wusste wirklich nicht, welcher Teufel ihn ritt, dass er hier den Therapeuten vertrat.
    Sie schaute ihn von unten herauf ungläubig an, ihr Lidstrich war verrutscht oder zerlaufen, und eine letzte, winzige Träne stahl sich ihre Wange herab, blieb schließlich an ihrem Kinn hängen, unschlüssig, ob sie fallen oder trocknen sollte. »Das hat noch nie jemand zu mir gesagt.«
    »Dann müssen die Menschen in Ihrer Umgebung mit Blindheit geschlagen sein.« Er lächelte und bemühte sich um einen lockeren Tonfall, um seinen Abgang vorzubereiten.
    Sie stellte ihr Glas ab, straffte sich, bis ihr Busen dem eng bemessenen Gefängnis ihres T-Shirts zu entkommen drohte, und stand auf. »Vielleicht mache ich das wirklich«, sagte sie, »anfangen zu leben. Ich werde es zumindest versuchen, ehrlich.«
    Gleiche Höhe, aber entschieden zu nah. »Finde ich gut«, ermunterte er sie und bewegte sich zentimeterweise rückwärts. Ein Hindernis vereitelte seine Flucht.
    Sie schloss auf. Fiel gegen ihn, ohne dass er hätte sagen können, ob sie gestolpert war oder Absicht dahintersteckte. Er fing sie auf, versuchte es jedenfalls, wankte unter der Last und stürzte, weich immerhin, ein Sessel milderte den Aufprall, und es dauerte eine Weile, bis er das Gewirr aus Armen, Beinen und Brüsten entflochten hatte.
    »Hoppla«,

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