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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland
Autoren: Beate Sommer
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wehrlos dem Strudel ausgeliefert bis zur Auflösung, oder auch nicht, der Zucker war ja noch da, also handelte es sich vielleicht eher um einen anderen Aggregatzustand, aber was wusste sie schon, die Lektionen der Schulzeit waren lange vergessen und Naturwissenschaften nie ihre Stärke gewesen. Sie probierte. Heiß. Und mächtig sauer.
    Wenn du dich kurz fassen willst, solltest du allmählich mal anfangen, bat sie im Stillen und wünschte, sie hätte sich nicht auf dieses Treffen eingelassen. Sie mochte ihn nicht, irgendetwas an ihm kam ihr nicht echt vor, und sie fühlte sich – belauert? Ja, doch, und plötzlich war dieses Gefühl, verfolgt zu werden, wieder so präsent wie vorhin.
    Die Kellnerin kam an ihren Tisch, und Morgenroth zahlte. »Martin Gentner hatte ein Verhältnis mit meiner Schwester«, sagte er, als sie wieder allein waren.
    Marilene hob erstaunt die Brauen, auf jeden Fall besaß er nun ihre Aufmerksamkeit, und sie wartete ab, was da noch kommen mochte.
    »Das hat während der Fortbildung begonnen, war wohl am Anfang etwas einseitig, die Anziehung, aber es ist was Festes daraus geworden.«
    »Das mag ja verwerflich sein, aber verboten ist es auch wieder nicht«, sofern ›einseitig‹ nicht Vergewaltigung meinte, schränkte Marilene innerlich ein.
    »Stimmt schon«, gab er zu, »aber sie war schwanger.«
    »Wie? Schwanger?«
    »Wie Baby?«, flachste er, ein imaginäres Kleinkind auf den Armen schaukelnd.
    Die Reaktion auf ihre Verwunderung passte nicht zu ihm, jedenfalls nicht zu seiner Erscheinung, er wirkte, da der Schalk aus seinen Augen blitzte, auf einmal jünger, agiler. Sie musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. Er war nicht so übergewichtig, wie er ihr auf den ersten Blick vorgekommen war, dafür waren seine Arme viel zu dünn, sein Gesicht zu hager. Ob der Bauch echt war?, überlegte sie. Wenn sie eine Nadel hätte … Und die Haare. Eine Perücke womöglich? Sie sollte verschwinden, schleunigst. Komm schon, du bist hier unter Menschen, also was soll die Panik? Sie konnte diese seltsame Ahnung von Gefahr nicht abwehren, und stemmte schon die Hände gegen den Tisch, um aufzustehen.
    »Er war am letzten Wochenende in Leer«, fuhr Morgenroth auf einmal so eilig fort, als habe er ihr Misstrauen gespürt. »Er ist im Hotel Lange abgestiegen. Sie hatten sich am Samstagabend dort treffen wollen, um über die Zukunft zu reden. Das glaubte jedenfalls meine Schwester.«
    »Wieso hätte er im Hotel absteigen sollen, wo sie doch eine Beziehung hatten?«, fragte sie. Sie glaubte ihm kein Wort. Und irgendwie fühlte sie sich merkwürdig. Vielleicht hatte sie Fieber. Schlecht war ihr auch.
    »Eben. Das meine ich ja. Er wollte kein Kind, sondern sie zu einer Abtreibung bewegen. Sie hat das geahnt und Martin schon abgeschrieben, aber ich weiß, dass sie das Kind unbedingt bekommen wollte. Das konnte er nicht zulassen.«
    Warum eigentlich nicht?, überlegte sie. Fürchtete er, Unterhalt zahlen zu müssen? Leisten konnte er sich das bestimmt, sie glaubte nicht, dass er am Hungertuch nagte. Oder wollte er verhindern, dass seine Frau davon erfuhr? Auf sie machte er jedoch eher den Eindruck, dass ihm vollkommen gleichgültig war, was andere von ihm hielten. Seine Frau vermutlich nicht ausgenommen. Also hatte Gentner kein Motiv, Inka zu ermorden. Jedenfalls nicht dieses soeben präsentierte. Von ihrem angeblichen Bruder. Dem sie nicht traute.
    Sie würde gehen. Jetzt. Zog ihren Mantel vom Stuhl. Stuhl fiel um. Polterte gar nicht. Rechter Ärmel weg. Er fand ihn wieder. Zog sie an. Wie eine Puppe. Puppe? Gott, war ihr übel. Er stützte sie. Führte sie. Hinaus in die Kälte. Summen. Handy? Zieh. So schwer. Fällt.
    ***
    Das Timing war perfekt. Hätte ihr Handy früher geklingelt, wäre sie noch in der Lage gewesen, ranzugehen, so aber fiel es scheppernd aufs Pflaster. Er hob es auf, das Display zeigte eine Nummer, keinen Namen, schaltete es aus und steckte es in seine Tasche. Sie war unsicher auf den Beinen, das war zu erwarten gewesen. Hoffentlich hatte er nicht zu hoch dosiert, aber es war nicht mehr weit bis zum Parkhaus, das müsste sie noch schaffen, ohne dass er sie schleppen musste. Er stellte sich vor, wie er sie sich über die Schulter warf und unter ihrem Gewicht vorwärtstaumelte, er unterdrückte ein Grinsen. Lieber nicht, irgendjemand würde ihn zur Rede stellen, anzunehmen, und so ging sie einfach als betrunken durch, einen kurzen Blick wert, nicht mehr, bevor man sich angewidert abwandte.
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