Spur nach Ostfriesland
meinen Eltern in Wittlich«, erläuterte sie.
»Sie sind schon am Morgen dorthin gefahren?«
»Ja, ich bin mit dem Zug gefahren, weil nicht klar war, wann mein Mann nach Hause kommen würde.«
»Und wann sind Sie dann angekommen?«
»Gegen zehn, halb elf?« Michael sah Katharina fragend an.
»Eher halb elf«, bestätigte sie.
»Wäre es, angesichts der Witterungsverhältnisse, nicht besser gewesen, erst am nächsten Morgen zu fahren?« Hartmann blieb freundlich, aber allmählich wurde ihr mulmig. Wohin sollten diese Fragen führen?
»Schon, und meine Frau«, Michael wies mit dem Kopf auf Katharina, »hat auch ordentlich gemotzt, aber die Sehnsucht trieb mich.«
»Sie sind also direkt von der Schule aus losgefahren?«
»Nein, bin ich nicht. Mein letzter Termin endete um siebzehn Uhr dreißig, und danach bin ich noch aufgehalten worden. Da mir klar war, dass ich bei der Familie meiner Frau niemanden antreffen würde, weil ein Restaurantbesuch vorgesehen war, bin ich mit einem Kollegen essen gegangen und später gefahren.«
»Hier waren Sie aber nicht mehr?«
»Nein.« Allmählich wurde Michael ungehalten. »Aber Sie können das ja nachprüfen. Hier«, er zog Hartmanns Block zu sich heran und kritzelte etwas darauf, das kein Mensch lesen konnte.
»Der Schrift nach hätte ich auf Mediziner getippt.« Hartmann kratzte sich am Kopf. »Was soll das bitte schön heißen?«
»Nathan Philips. Mein Kollege.«
»Ah.« Hartmann setzte den Namen in Klarschrift darunter. »Anschrift oder Telefonnummer? Und den Namen des Restaurants bitte noch.«
»Woher soll ich das denn wissen?«
Katharina schloss resigniert die Augen. Es war so typisch für ihn, Nebensächlichkeiten zu ignorieren. Wenn sie ihm erzählte, dass Freunde angerufen hatten und sie mit ihnen essen gehen würden, konnte es passieren, dass er zehn Minuten später fragte, was sie kochen würde.
»Such mal Nathans Telefonnummer heraus«, bat sie Michael, um die Situation zu entschärfen. »Er wird schon noch wissen, wo ihr wart und wann.« Hoffte sie jedenfalls. Er schnaubte, ging aber mit schweren Schritten nach oben, um zu suchen. Sie wartete auf ein trotziges »Ist nicht mehr da«, aber sie täuschte sich. Entweder wurde ihm der Ernst der Lage bewusst, oder er wollte schlicht seine Ruhe haben.
»Bitte.« Er knallte eine Liste auf den Tisch. »Sie wollen das sicher in Schönschrift.«
Hartmann ließ sich nicht provozieren und schrieb die Nummer ab. »Sie hatten mal eine Praktikantin namens Birgit Kainz.«
»Nie gehört.« Michael blieb stehen, wohl um zu signalisieren, dass das Gespräch beendet sei.
»Die Dicke«, versuchte Katharina, ihm auf die Sprünge zu helfen.
»Ach ja, ist das nicht die, die nach ein paar Tagen nicht mehr aufgetaucht ist? VHS oder so?«
»Eben. Sie ist vor über einem Jahr spurlos verschwunden. Ein seltsamer Zufall, nicht?« Hartmanns Sarkasmus war kaum zu übertreffen.
»Aber wohl kaum mehr als das, ein Zufall. Sie war gerade mal ein paar Tage hier«, erklärte Katharina. »Erst hatte sie eine Kieferoperation, dann ein angeblicher Einbruch, der ihre Anwesenheit zu Hause erfordert hatte, und schließlich ist sie ganz weggeblieben. Ich hatte angenommen, dass sie einfach keine Lust mehr hatte. Sie schien mir irgendwie sprunghaft, dabei hatte sie bei ihrem Vorstellungsgespräch so eifrig gewirkt, und, nebenbei, um einiges schlanker war sie da auch noch. Ich begreife nicht, was das alles mit uns zu tun haben soll.«
»Kannten sich Birgit Kainz und Franziska Eising?« Hartmann ignorierte ihren Einwurf.
»Daran kann ich mich nicht erinnern. Wenn sie kann, meidet Frau Eising Praktikanten, aber ich weiß es wirklich nicht.«
»Ist Ihnen dann vielleicht jemand aufgefallen, der die beiden auch privat kannte? Oder sich in irgendeiner Weise merkwürdig verhalten hat?«
Sie rieb sich das Ohrläppchen. »Ich glaube nicht. Birgit Kainz hat nie allein Kunden bedient, bei Praktikanten ist immer einer von uns mit dabei. Vielleicht ist Frau Borden etwas aufgefallen, aber das ist natürlich schon lange her.«
»Und Frau Eising?«, hakte Hartmann nach. »Wie kam sie mit den Kunden zurecht?«
Kam, dachte Katharina, und konnte nicht fassen, wie schnell sich die Vergangenheitsform einschlich und mit welcher Gewissheit. »Gut«, sagte sie und weigerte sich, es ihm gleichzutun: »Sie ist sehr freundlich, wenn auch gelegentlich empfindlich, aber das lässt sie sich nicht anmerken. Sie kann es zum Beispiel nicht leiden, wenn man auf ihr
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