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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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Alter anspielt, das fasst sie sofort als Kritik auf, sodass ich dann schon mal übersetzen muss, was tatsächlich gemeint war. Diese Unsicherheit ist völlig normal und eben doch altersbedingt, mit zwanzig glaubt man, alles zu wissen – lass die Alten reden, die haben keine Ahnung. Aber irgendwann kommt man dahinter, was man alles nicht weiß, und kann beginnen, die Lücken zu schließen, so man will. Das  ist  eine grässliche Phase, ich kann mich noch gut daran erinnern.«
    »Also nichts, was Ihnen wirklich merkwürdig vorgekommen ist, auch nicht jetzt, im Nachhinein, unter Berücksichtigung der Umstände?«
    »Ich weiß nicht«, sie hob die Schultern, »da war vor einiger Zeit mal ein Kunde, mit dem sie sich länger unterhalten hatte, ein junger Mann, und ich habe sie später damit aufgezogen. Es handelte sich um jemanden, den sie flüchtig von früher kannte, aber ich kenne seinen Namen nicht. Er hat sie danach mal zu Hause besucht und sie hat ihm obendrein erzählt, dass es zu ihrer Wohnung im Augenblick keinen Schlüssel gebe, das war natürlich mächtig leichtsinnig. Soweit ich weiß, hat sie das Schlüsselproblem behoben und nie wieder was von ihm gehört. Ach, da fällt mir noch ein, dass sie im Zug oft auf einen Typen getroffen ist, der ihr ziemlich unheimlich war, hat sich immer ihr gegenüber hingesetzt und ist ihr sogar hinterher, wenn sie den Platz gewechselt hat. Sie hat nicht gewusst, wie sie sich verhalten soll, weil er ihr ja eigentlich nichts getan hat.«
    »Im frühen Zug?«, erkundigte Hartmann sich.
    »Ich glaube, ja. Mehr fällt mir aber auch nicht ein. Gut, sie wurde mal zum Essen eingeladen, sogar einmal in den Urlaub, da hat sie sich heftig drüber aufgeregt, weil der Typ verheiratet sei und Kinder habe, der alte Knacker, sagte sie. Eingelassen hat sie sich jedenfalls auf gar nichts.«
    »Wissen Sie, wer das war, mit dem Urlaub?«
    Michael hob dezent die Brauen, aber sie hätte es ohnehin nicht sagen können. »Nein«, erklärte Katharina, »für Frau Eising sind alle über dreißig steinalt, und wenn sie jemanden für schmierig hält, muss mir das noch lange nicht so gehen. Sie wusste keinen Namen, und ich habe mit ihrer Schilderung nichts anfangen können.«
    »Das klingt, als habe sie eine Ausstrahlung gehabt, der Männer nur schwer widerstehen können, vor allem, wenn sich Vorfälle dieser Art gehäuft haben.«
    »Das klingt für mich eher so, als gäbe es mehr bekloppte Männer, als man annehmen möchte. Mit Ausstrahlung hat das nämlich überhaupt nichts zu tun, sondern mit Macht. Sie wissen, dass man sich nicht wehren kann gegen ihre Anzüglichkeiten, weil man ja keinen Kunden vergraulen will, und ihr Ziel haben sie schon erreicht, wenn man rot wird. Je oller, je doller, das kommt noch dazu, mit vierzig wird verbal gebaggert, mit sechzig werden sie handgreiflich. Allerdings, bei den Achtzigjährigen muss man echt aufpassen, da geht es dann um Ganzkörperkontakt.«
    Sie begann, sich zu ereifern, und wieder schossen Michaels Brauen in die Höhe. »Glauben Sie mir«, fuhr sie fort, »ich habe das alles selbst erlebt, irgendwann lernt man, damit umzugehen, und wird tatsächlich nicht mehr rot. Irgendwann leidet man nicht mehr darunter, dass einem die passende Entgegnung immer erst hinterher einfällt. Es ist harmlos, lächerlich und harmlos. Bedrohlich könnte es höchstens werden, wenn man eben nicht auf den Mund gefallen ist. Aber das sind nicht die Frauen, die sie sich für ihre Späße aussuchen, da haben sie einen ganz untrüglichen Instinkt.«
    Hartmann warf ihrem Mann einen beinahe mitleidigen Blick zu. »Ihre Schilderung – schließt sie das Verhalten Ihres Mannes mit ein?«
    Michael legte ein Grinsen auf, das man als sardonisch bezeichnen konnte.
    »Nein«, bestritt sie nachdrücklich und unterband, dass ihr Mann äußerte, was ihm auf der Zunge liegen mochte. »Ich habe ihn gut erzogen«, erlaubte sie sich eine kleine Spitze.
    »Ich hole mir meinen Kick gern morgens beim Bäcker«, erklärte Michael, »damit ich nicht Gefahr laufe, von meiner Frau als Chauvi bezeichnet zu werden.«
    So viel zum Thema Erziehung.
    »Mir scheint, Sie verkennen den Ernst der Lage«, wies Hartmann ihn zurecht und wandte sich erneut an Katharina. »Wenn ich Ihrer Einschätzung folge, dass nur ein bestimmter Frauentyp diese Anmache, oder wie soll ich das bezeichnen, provoziert –«
    »Von Provokation kann keine Rede sein«, unterbrach sie ihn und spürte, wie sie innerlich auf die Barrikaden

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