Spur nach Ostfriesland
Kühlschrank! Dieses Ungetüm mit Wasserspender und Eiswürfelmaschine, von dem er seit Urzeiten träumte. Unwillkürlich entfuhr ihm ein sehnsuchtsvoller Seufzer.
»Möchten Sie vor dem Tee vielleicht ein Glas Wasser? Zum Ausprobieren?« Frau Gentner reichte ihm ein Glas und erklärte die Funktion der Tasten.
»Phantastisch.« Hartmann merkte, wie ehrfurchtsvoll er sich anhörte, doch das war ihm egal. Er trank, und nichts schien ihm je besser geschmeckt zu haben. Als Frau Gentner Wasser in einen Kessel füllte, stellte er sein Glas ab und sprang hinzu.
»Darf ich?«, bat er, so albern es auch sein mochte, entzündete ein Streichholz und hielt es an das ausströmende Gas, wusch, plopp, genau wie in seiner Erinnerung, und die Flamme wuchs, zögernd blau in der Mitte und zuckend gelb an den Rändern. Dann stellte er den Kessel auf, regulierte die Flamme, bis sie nicht länger hervorzüngelte, und blieb händereibend vor dem Herd stehen, wie um nur nichts zu verpassen. »Kochen Sie beruflich?«, erkundigte er sich.
»Ach …« Frau Gentner zögerte. Ihr Gesicht nahm einen seltsam entrückten Ausdruck an, der sie völlig veränderte. Ihre Züge glätteten sich, die braunen Augen bekamen einen warmen Glanz, sogar ihr mausbraunes Haar, dessen Frisur seit den Siebzigern sicher nicht verändert worden war, schimmerte auf einmal, und auch ihre Haltung war weniger verhuscht und zaghaft, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Aus der unscheinbaren Frau undefinierbaren Alters wurde auf einmal eine Person, der man die Leidenschaft ansah, die Hobby von Berufung trennt.
»Später vielleicht, wenn auch meine Tochter aus dem Haus ist. Ein Partyservice, das würde mir Spaß machen, die komplette Organisation mit allem Drum und Dran, und nicht nur die übliche Nachbarschaftshilfe wie Salat mitbringen. Ich habe einen ganzen Ordner voller Ideen gesammelt, aber das muss noch warten, so etwas läuft ja nur am Wochenende, und Personal bräuchte ich auch, wenn ich es richtig professionell aufziehen will.« Sie zuckte mit den Achseln.
»Wie alt sind Ihre Kinder denn?«, fragte Hartmann. »Könnten sie nicht helfen?«
»Dem Alter nach schon.« Ihr Lächeln geriet schief. »Die Jüngste ist neunzehn und macht gerade ihr Abi, hat also wenig Zeit und, ich fürchte, noch weniger Neigung. Und die Jungs, na ja, die haben auch anderes im Kopf. Der Älteste ist vierundzwanzig und angehender Jurist, und Klaus, der Mittlere, studiert Medizin, offiziell jedenfalls, ich glaube er hat das Fach gewechselt. Er würde vielleicht helfen, aber, nein, es ist wichtiger, dass er seinen eigenen Weg verfolgt, nicht meinen. Wollen Sie mal sehen?«
»Gern.« Hartmann nickte und beobachtete, wie sie auf einen Tritt stieg und hinter allerlei Vorräten einen Leitzordner hervorzog, den sie vor ihm auf die Arbeitsplatte legte. Er schlug ihn auf und war augenblicklich beeindruckt. Zeichnungen, teilweise auch Fotos von Dekorationen, Menüfolgen, die ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen ließen, Kostenkalkulationen, sogar Einkaufslisten und Personalbedarfsberechnungen fand er. Sie könnte morgen anfangen, und sie würde ihre Sache gut machen, dessen war er sicher.
Ein Gericht sprang ihm ins Auge. »Reh und Safran?« Er zog die Augenbrauen hoch. »Eine eigenwillige Kombination, oder?«
»Erprobt und für gut befunden.«
»Tournedos an Kirschsoße klingt auch etwas ungewöhnlich.«
»Eindeutig lecker, aber ich weiß schon, Proben zum Kosten werde ich machen müssen.«
Ein Räuspern ließ beide zusammenfahren, und sie beeilte sich, den Ordner an seinen Platz zurückzustellen.
»Also, bevor hier ein restlos falscher Eindruck entsteht«, sagte Patrizia von der Tür aus, »wir sind von der Kriminalpolizei. Das ist Hauptkommissar Hartmann und ich bin Kommissarin Heyder.« Sie zog ihren Ausweis hervor, steckte ihn aber sogleich wieder ein, als fürchte sie eine genaue Inspektion. »Wir wollten eigentlich zu Ihrem Mann.«
»Er ist auswärts bei einem Kunden. Ich weiß nicht, wann er zurückkommt.«
»’tschuldigung«, murmelte Hartmann zu niemand Bestimmtem, »ich habe mich hinreißen lassen.« Der Kessel pfiff, und unvermittelt war sie wieder da, die graue Maus, die jetzt das kochende Wasser in die bereitstehende Kanne goss, Tassen auf den Esstisch stellte, Zucker, Milch und einen Teller Kekse. Die Verwandlung war absolut und irgendwie unheimlich. Nun, dachte er, das vielleicht nicht, aber schräg schon, und er fürchtete, Patrizia würde ihm nicht glauben,
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