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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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doch auch in Ihrem Interesse. Wie«, wandte er sich an Patrizia, »sind Sie an diese Narbe gekommen?«
    »Ein Unfall«, murmelte Patrizia errötend, stand auf und stopfte das Notizbuch zurück in ihre Tasche.
    »Wirklich.« Gentner stand ebenfalls auf, trat zu ihr und betrachtete ihr Gesicht mit schief gelegtem Kopf, als sei er ein plastischer Chirurg, der den nächsten Eingriff plante. »Man sollte meinen, dass Sie sanftmütiger wären, Ihre übrigen Vorzüge effektiver einzusetzen wüssten. Ich biete übrigens auch Einzelseminare an.«
    Patrizia schluckte. Der Blick, der niederschmettern sollte, misslang gründlich, und sie wandte sich ab, um ihre Jacke anzuziehen.
    »Auf Wiedersehen.« Hartmann nahm wahr, wie Frau Gentner den Kopf sinken ließ, die erste Regung überhaupt, seit ihr Mann die Küche betreten hatte, und er wusste nicht, ob Erleichterung daraus sprach oder vielleicht ein Ja, ein halbes wenigstens.
    »Eher nicht«, entgegnete Gentner. »Aber falls Sie noch auf die abwegige Idee kommen sollten, hier nach einer Leiche zu suchen, dann vergessen Sie den Durchsuchungsbeschluss nicht. Pawlow!«, rief er, »komm auf Wiedersehen sagen!«
    Patrizia floh, während Hartmann sich um einen würdevolleren Abgang bemühte, aber er konnte es nicht unterlassen, die Haustür hinter sich zuzuknallen. Und wenn es sich nicht um das Bellen des verdammten Köters handelte, dann war es Gentner, der lauthals lachte.
    Als er den Wagen erreichte, hatte Patrizia sich bereits in ihrem Schal vergraben. »Gib dir nicht die Schuld«, sagte er, »jedenfalls nicht allein, er ist ein Arschloch, und wir waren nicht darauf vorbereitet.«
    »Vielleicht.« Patrizia sprach zögernd, als müsse sie ihre Eindrücke erst sortieren. »Vielleicht konnten wir das gar nicht sein, mir kam das Ganze vor wie eine Inszenierung, angefangen mit dem blöden Hund, dann seine Frau, die mich echt rasend macht –«
    »Ist mir nicht entgangen«, warf er ein. »Sie ist übrigens ganz anders, aber da warst du im Bad.«
    »Hm, egal, er macht sich durch diese übertriebene Ahnungslosigkeit verdächtig, und dann tut er so erleichtert, dass wir noch keine Leiche haben. Mir kommt das vor, als wollte er uns glauben machen, dass es eine Leiche gibt, wovon ich eigentlich noch nicht überzeugt bin.«
    Hartmann nickte. »Da könnte was dran sein«, überlegte er. »Es war sein Stück, und es ist völlig nach Plan verlaufen. Das Problem ist bloß, ich begreife den Plan nicht.«
    »Nee«, sagte Patrizia, »und er kann doch auch nicht mit uns gerechnet haben, weil er sich mit Franziska allein glaubte, als er sie in den Urlaub eingeladen hat.«
    »Soweit wir wissen. Vielleicht war auch das schon Teil der Inszenierung?«
    Patrizia seufzte. »Jedenfalls bin ich mir noch nie derartig inkompetent vorgekommen, und dass er mir das Gefühl gegeben hat, dass das mit meinem Gesicht zu tun hat, ist echt bitter. Ich bin nur noch das bemitleidenswerte Opfer, nur noch reduziert auf diese Narbe. Ich bin die, die reagiert, nicht die, die agiert. Und soll obendrein dankbar sein für die Aufmerksamkeit. Und sei es von Psychopathen. Ist ja nicht das erste Mal.«
    Hartmann wartete ab. Es  war  nicht das erste Mal. Vor ein paar Monaten war sie in der Gewalt eines Mannes gewesen, der sich schließlich vor ihren Augen erschossen hatte, aber sie hatte nie darüber gesprochen, was sich bis dahin dort abgespielt hatte. Sie schwieg auch jetzt. Und letztlich musste er ihr recht geben. Sie wurde auf die Narbe reduziert. Sie war nicht mehr Patrizia, sie war die arme Patrizia oder die knallharte, die zu kompensieren suchte. Wenn sie sich schminkte, ging es ums Verbergen eines Makels, tat sie es nicht, ging es um Provokation.
    Er konnte sich, was seine eigene Wahrnehmung ihrer Person betraf, nicht einmal ausnehmen. Diskriminierung war auch, wenn er einen fälligen Rüffel nicht erteilte, weil sie ja so schon genügend gestraft war. Dabei gab er sich Mühe, immerhin. Er hatte schon erlebt, wie manche Gruppen verstummten, nur weil sie dazukam. Sie fiel auf, ob sie wollte oder nicht, und in den seltensten Fällen war die Reaktion auf ihr Erscheinen schmeichelhaft oder wenigstens normal.
    »Da ist ja auch noch Paul«, fiel ihm zu seiner Erleichterung ein.
    »Ja«, sagte sie, »da ist ja auch noch Paul.«
    ***
    Paul Zinkel saß mitten auf dem Gehweg und fluchte. Er zog die Beine an und versuchte, aufzustehen, aber seine Füße rutschten ein ums andere Mal unter ihm weg. Er musste aussehen wie ein Hip-Hopper

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