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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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nimmt.«
    »Wenn es nur der Anblick gewesen wäre«, Inka schauderte, »aber das war Dschungel-Camp, nur ohne Kameras, soweit ich weiß jedenfalls. Da war dieser Seminarleiter für die Gesprächsrunden, ich weiß nicht, ob der nicht heimlich hat alles filmen lassen. Ich hatte manchmal den Eindruck, dass er jemandem Zeichen gab, aber vielleicht war das nur Einbildung.«
    »Würde das die Erfahrung für Sie schlimmer machen?«
    »Logisch. Wer will schon sein Versagen auf Film gebannt wissen? Und wer weiß, wer alles das zu sehen bekommt. Nein danke. Ich war nämlich die Hauptdarstellerin, müssen Sie wissen. Bei diesen Gesprächsrunden, bei jedem Rollenspiel, überhaupt bei jeder Aktion hieß es«, sie verzog den Mund zu einem scheinheiligen Grinsen, »›Inka, machen Sie doch den Anfang.‹ Irgendwann habe ich versucht, mich zu weigern, und ein paar sarkastische Bemerkungen eingeworfen, aber das kam gar nicht gut an. Bei keinem. Wenn dich nämlich einer als Opfer ausgeguckt hat, sehen dich alle anderen genauso. Sie haben angefangen, auf mich einzureden, mir klarzumachen, was für eine Niete ich bin, die haben nicht mehr damit aufgehört. Ich hätte abhauen sollen, aber je länger das dauerte, desto mehr Zweifel an mir selbst sind mir gekommen. Nicht mal das Weglaufen habe ich mir noch zugetraut. Ich kann mir das selber nicht erklären, ich bin doch eigentlich kein Feigling, aber das hat mich total aus der Bahn geworfen.« Sie schwieg, brauchte all ihre Kraft, um nicht wieder zu diesem zitternden Häuflein Elend zu werden, das ihr noch immer derartig präsent war.
    »Wie ging es dann weiter?«, fragte Amelung nach einer Weile.
    »Wissen Sie, was der Arsch gesagt hat? ›Was machen wir denn mit jemandem, der sich nicht an die Regeln hält?‹ Und er hat nicht widersprochen, als jemand auf die Idee kam, mich zu bestrafen. Nichtbeachtung sei angemessen für bockige kleine Mädchen, hat er gesagt. Und genau das haben sie dann gemacht. Mich absolut ignoriert. Ich wurde nicht mehr in die Gruppen eingeteilt, man hat nicht ein Wort an mich gerichtet, man hat mich nicht mal mehr gesehen, denn ein paar von ihnen sind einfach in mich hineingerannt. Natürlich braucht jemand, der nicht da ist, auch nichts zu essen, kein Zelt. Ich frage mich, warum sie mir den Schlafsack gelassen haben. Und sie haben alle mitgemacht! Können Sie das glauben?«
    »Oh Gott, Sie Ärmste, das ist ja fürchterlich.« Amelung umschlang sich mit den Armen, als fröre sie. »Die sollte man verklagen. Allesamt.«
    »Ich kann doch nichts beweisen.« Inka schnaubte. »Mein Wort gegen das der anderen. Außerdem wäre doch jeder normale Mensch einfach weggelaufen. Niemand würde begreifen, dass ich das nicht konnte. Ich ja auch nicht.«
    »Aber ich höre auch heraus, dass Sie wütend sind. Das ist doch ein Anfang.«
    »Ich bin sogar stinkwütend«, Inka spie das Wort förmlich heraus, »aber das nutzt mir nichts.«
    »Für den Heilungsprozess ist das gar nicht schlecht«, entgegnete Amelung.
    »Der Teil muss nicht heilen«, warf Inka ein. »Die Wut reicht, um damit klarzukommen, und die Peinlichkeit werde ich auch noch überwinden, glauben Sie mir.«
    »Daran zweifle ich nicht. Sie sind stärker, als Ihnen bewusst ist. Was ist dann passiert?«
    Inka schloss die Augen. »Mitten in der Nacht, es war inzwischen schweinekalt, kam jemand zu mir. Ich konnte ihn nicht richtig erkennen, das bisschen Mondlicht, das durch die Bäume drang, reichte einfach nicht aus, er wirkte groß und schlank, ich weiß nicht, ob das jemand aus der Gruppe war. Er flüsterte, ich solle verschwinden, er könne nicht mehr dafür garantieren, dass ich dort sicher war, es gebe viel Getuschel. Keine vier Kilometer entfernt sei eine Straße, auf der auch nachts das eine oder andere Auto fahre, sicher würde jemand anhalten und mich mitnehmen. Er schien zu lächeln, man hört das irgendwie aus der Stimme raus, bilde ich mir jedenfalls ein, trotzdem habe ich ihm nicht getraut. Ich fürchtete, das sei nur eine weitere Schikane, aber er drückte mir eine Flasche Wasser in die Hand und einen Schokoriegel und drängte mich zur Eile. Er half mir auf, denn meine Beine wollten mir nicht gehorchen, und wies mir die Richtung. Also bin ich losgegangen, da war ein Pfad, weniger als das eigentlich, eine Lücke zwischen den Bäumen, ich konnte mich nicht erinnern, ob wir auf diesem Weg hergelangt waren, er war jedenfalls sehr uneben, und ich bin oft gestolpert, auch gestürzt, und dauernd hatte ich das

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