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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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Gefühl, dass sie schon hinter mir her sind, all diese Geräusche, die man im Dunkeln nicht zuordnen kann, und immer dachte ich, jetzt haben sie mich. Nach einem Sturz bin ich sitzen geblieben, ich konnte einfach nicht mehr und habe nur noch auf sie gewartet. Jedes Rascheln konnte ich jetzt hören, und Zweige haben geknackt, ein Uhu rief, das war vielleicht gespenstisch, aber nichts ist passiert. Ich konnte es gar nicht glauben. Als ich was getrunken und den Riegel gegessen hatte, war ich wieder in der Verfassung, weiterzulaufen, wenn auch langsam, der Pfad wurde immer enger, so kam es mir vor, und das ist das Letzte, woran ich mich erinnere, dass die Bäume sich zu mir neigten, als wollten sie mich schützen. Oder als wollten sie mir den Weg versperren.«
    »Das hört sich an, als wären Ihnen Drogen verabreicht worden.«
    »Ja«, stimmte Inka zu. »Nicht, dass ich damit Erfahrung hätte, aber alles, was danach kam, ist wie ein Film im Schnellvorlauf, zu schnell, um etwas erkennen zu können, nur Bruchstücke, die keinen Sinn ergeben.«
    »Gut, dann sprechen wir beim nächsten Mal über das Erste, woran Sie sich nach Ihrem Verschwinden erinnern, in Ordnung?«
    Inka spürte, wie neuerlich Tränen drohten, sie konnte nicht antworten, wenn sie nur den Mund öffnete, würde sie schreien. Sie senkte die Lider zum Einverständnis, eine glatte Lüge, und verließ steifbeinig die Praxis.
    Draußen tobte ein Wintersturm, der den Tag verdunkelte und ein paar übrig gebliebene Blätter, die es geschafft hatten, nicht unter Schnee und Eis begraben zu werden, vor sich herfegte. Begraben, dachte sie, und die Vorahnung rüttelte sie durch, hinter jeder Ecke, unter jeder gegen die beißende Kälte heruntergezogenen Kapuze wähnte sie ihren Mörder. Da, der Typ auf dem schlingernden Fahrrad, der fixierte sie drohend, oder nicht? Sie drückte sich angsterfüllt an die Hauswand neben sich. Und was war mit dem Auto, das da hinten um die Ecke geschossen kam? Sie atmete erst aus, als der Wagen mit quietschenden Reifen vorbeigerauscht war.
    Sie setzte, wie gerade erlernt, einen zögernden Fuß vor den anderen, hin zu dem Weg, der in die Leeraner Fußgängerzone führte, beklemmend schmal, und sie beschleunigte ihre Schritte, bis sie in die Mühlenstraße gelangte, wo sie sich ernsthaft bemühte, normal zu wirken, jemand, der ein paar Besorgungen machen wollte, der Kälte zum Trotz schlenderte, nicht lief, es war nicht weit und klappte doch nicht, genügte nur, um nicht zu rennen.
    Sie überquerte den Ernst-Reuter-Platz, erreichte die Promenade, und jetzt war es der Wind, der ihr die Kapuze überstülpte und sie vorwärtsdrängte zur Nesse-Brücke. Sie bewältigte den Anstieg und blieb in der Mitte einen Augenblick stehen, das Geländer umklammernd, um nicht fortgeweht zu werden, was sie längst war, irgendwie, also warum nicht loslassen, geschehen lassen, was ohnehin unvermeidlich war? Ein paar Enten tanzten auf den Wellen unter ihr und schimpften Unverständliches, ihr habt recht, dachte sie, das ist feige. Sie wandte den Kopf, blickte auf das Haus, in dem sie wohnte, ein trutziges Haus ungeachtet der bodentiefen Fenster, als hätte sie beim Kauf ihrer Wohnung geahnt, dass sie genau das einmal brauchen würde. Im obersten Stockwerk brannte das Licht und rief sie nach Hause.

4
    Unternehmensberater leben nicht schlecht, dachte Hartmann, besser, als er angenommen hatte. Nicht, dass er sich allzu viel unter diesem Beruf vorstellen konnte.
    Dieser Teil Engenhahns war den Reichen und sehr Reichen vorbehalten, ihre stattlichen Häuser duckten sich geradezu in eine entlegene Ecke ihrer großen baumbestandenen Grundstücke, als wollten sie jeden Anschein degoutanter Protzerei vermeiden. Aus diesem Grund, nahm er an, stand auch kaum ein Auto auf der Straße, alle wohlverborgen in Garagen, die zwei oder gar drei Fahrzeuge beherbergen konnten, deren kleinstes die A-Klasse für den eben volljährigen Sprössling wäre. Ein Paradies für jeden Dieb, wäre der Reichtum nicht hochtechnisch gesichert. Tatsächlich war die Einbruchsrate hier um einiges geringer als anderswo, und außerdem waren da noch all die Hunde. Oder die Schilder, die vor ihnen warnten. Hartmann mochte Hunde nicht, und ihre Besitzer konnte er schon gar nicht ausstehen. Er drückte zum zweiten Mal auf die Klingel und vernahm ein entferntes Bellen, das etwas Schnarrendes an sich hatte.
    »Das kommt vom Band«, murmelte Patrizia in ihren unsäglichen Schal und verdrehte die Augen.

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