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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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sie behalten und auch eingenommen. Ich hatte keine Nebenwirkungen.«
    »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mit ihm spreche?«, erkundigte sich Amelung. »Wenn ich weiß, was er Ihnen gegeben hat, können Sie sich bei Ihrem Hausarzt ein Rezept dafür holen.«
    »Das wäre gut«, erklärte Inka. »Ich hatte schon das Gefühl, dass sie mir geholfen haben. Zumindest ging’s mir da noch besser als jetzt. Ich konnte ja sogar arbeiten. Ich konnte …«, sie stockte, »Menschen ertragen.«
    »Das geht jetzt nicht? Was ist mit Ihrem Freund?«
    »Christian?«, fragte sie zurück, als gebe es mehr als einen. »Er ist irgendwie zu besorgt«, erklärte sie, »das macht mich wahnsinnig.«
    »Warum das?«
    »Ich weiß nicht. Doch, vielleicht, ich glaube es ist, weil er sich um mich sorgt, um meinen Geisteszustand. Verstehen Sie? Ich bin das Problem, nicht das, was mir zugestoßen ist. Oder das, wovor ich Angst habe.«
    »Was ist das genau?«
    »Ich –«, Gott, es war so schwer, das auszusprechen, »ich habe Angst, dass mich jemand umbringen will.«
    »Was glauben Sie, gründet diese Angst auf realen Begebenheiten, also bedroht oder verfolgt sie jemand, oder ist sie eine Reaktion auf die Entführung?«
    »Bedrohen, nein. Verfolgen, da bin ich nicht so sicher. Es ist mehr wie eine Vorahnung, etwas Unvermeidliches, das eintreten wird, sobald meine Aufmerksamkeit nachlässt.«
    »Hatten Sie diese Angst auch während der Zeit Ihrer Entführung?«
    »Ja. Ich meine, das wäre doch normal, oder? Es muss so gewesen sein. Ich kann mich nur nicht erinnern, nein, das ist irgendwie falsch, es ist eher so, dass ich es nicht zu fassen kriege. Und das ist ja wohl nicht normal, es kann doch nicht sein, dass ich acht Wochen – ja was? – ausblende?«
    »Normal ist ein Wort, das ich überhaupt nicht schätze, wie Sie wissen, und im Zusammenhang mit traumatischen Erfahrungen schon gar nicht. Es ist durchaus möglich, dass Ihr Unterbewusstsein die Zeit verdrängt, aber es ist ebenso möglich, dass Sie unter Drogen gesetzt worden sind, was solche Folgen haben kann, wie Sie sie schildern. Es gibt ein Krankheitsbild, das wir peritraumatische Dissoziation nennen, das bedeutet, dass Sie Ihr Erleben nicht in Worte fassen können, obwohl es, wenn auch verschwommen, durchaus präsent ist und keineswegs verdrängt.«
    »Und wie komme ich an die Worte wieder heran?« Inka vergrub das Gesicht in ihren Händen. Wollte sie überhaupt? Wollte sie wirklich wieder eintauchen in, in … »den Keller!«, schrie sie auf einmal und starrte Amelung aus tränennassen Augen an. »Es war ein Keller. Und es war dunkel, als wäre ich plötzlich blind«, sie flüsterte jetzt, »ich konnte absolut nichts sehen.«
    »Woher wussten Sie dann, dass Sie in einem Keller waren?«
    »Es war nicht die ganze Zeit dunkel. Irgendwann ging das Licht an«, sie legte eine Hand über die Augen, wie um sich davor zu schützen, »und es ging nicht mehr aus, es ging einfach nicht mehr aus, und es gab nichts zu tun, einfach überhaupt nichts, und ich habe Backsteine gezählt, laut, damit ich diese Stimme nicht hören muss, damit ich nicht total durchdrehe, aber ich glaube, das hat nichts geholfen, und ich hab dann ja auch aufgehört damit, ich bin durchgedreht, oder?«, flehte sie um Widerspruch.
    »Welche Stimme?«
    »Blech«, sagte sie abfällig. »Eine blecherne Stimme, die Blech absonderte, in einer Endlosschleife.«
    »Und die was sagte? Können Sie sich erinnern?«
    »Nein, aber ich bin wohl auf den Gedanken gekommen, dass ich dort hinauskomme, irgendwann, wenn ich nur gut genug zuhöre. Wenn ich gehorche.«
    »Was glauben Sie, betraf das Gehorchen die Zeit Ihrer Entführung?«
    »So was wie, ›Mach jetzt zehn Kniebeugen‹?« Inka wiegte sich vor und zurück. »Ich weiß es einfach nicht. Ich krieg’s nicht zu fassen.«
    »Das macht nichts. Sie können die Rückkehr verschütteter Erinnerungen nicht durch ihren Willen erzwingen, und ich habe den Eindruck, dass diese Flashbacks, die Sie schildern, ein guter Anfang sind. Wir kriegen das hin, Sie werden sich irgendwann an alles erinnern können, und Sie werden auch lernen, damit umzugehen.«
    »Vielleicht, aber was mach ich bis dahin? Ich kann doch so nicht arbeiten, ich kann ja kaum das Haus verlassen vor lauter Panik.«
    »Versuchen Sie, logisch heranzugehen«, schlug Amelung vor. »Ihr Entführer hatte acht Wochen lang Zeit, Sie umzubringen, wenn er das denn gewollt hätte. Warum sollte er das erst jetzt tun? Und bedenken Sie auch,

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