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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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fern und trotz des Windes merkwürdig unbewegt, ein stummer Beobachter in bleigrauer Uniform, und hatte sich noch immer nicht entschieden, wie es weitergehen sollte mit diesem Tag. Sie auch nicht.
    Sie erwog, Hartmann anzurufen, um ihm von der Unterhaltung mit Marie zu berichten, vielleicht sogar Inka Morgenroth zu erwähnen, aber der Zeitpunkt wäre sicherlich schlecht gewählt. Also doch ein Besuch bei Lothar? Nein, er würde jeden ihrer dunklen Gedanken sehen und versuchen, sie aufzumuntern. Das konnte sie absolut nicht ausstehen. Oder er würde es mit Konfrontationstherapie probieren, ungebetenes Spiegelbild ihrer Seele, sie wusste nicht, was schlimmer wäre.
    Sie musste raus, das war alles, bevor ihr die niedrige Decke auf den Kopf fiele. Sie würde Marie abholen, beschloss sie, und in der Zeit, bis sie Feierabend hätte, in der Krimiecke stöbern und mit Katharina reden, falls das ginge. Sie rief Anita an, die das heute eigentlich hatte übernehmen wollen, besprach ihren Anrufbeantworter neu und zog ihren Mantel an, schnappte sich Handtasche und Autoschlüssel und löschte das Licht. Leise schloss sie ab und schlich sich die Treppen hinunter. Wie ein Dieb in der Nacht, dachte sie und hätte beinahe grinsen müssen.
    Eine halbe Stunde später stellte sie ihren Wagen in Martens’ Einfahrt ab und stieg aus. Die Kälte fuhr ihr augenblicklich in die Knochen, sodass sie sich, entgegen ihrer Absicht, doch ihren Mantel überzog, bevor sie sich daran machte, die Einfahrt zu bewältigen, in ihren für diese Witterung völlig ungeeigneten Schuhen mehr schlitternd, denn gehend. Sie brauchte unbedingt Stiefel, erinnerte sie sich, doch die versprochene Schlittenpartie am Wochenende musste ja nun ausfallen. Sie erreichte heil den Bürgersteig, wo sie befreit ausschreiten konnte, und beeilte sich, um dem atemraubenden, schneidenden Wind zu entkommen. Die steinerne Treppe hinauf zum Laden war matt und rissig vom Frost, und sie fürchtete, am Geländer festzufrieren, sollte sie ins Straucheln geraten und danach greifen. Plötzlich traf etwas Kaltes ihr Genick, und sie schrie auf. Ungelenk streifte sie ihren Mantel ab und schüttelte sich, Schnee, stellte sie fest, welcher Idiot – nein, das kam von oben, ein ganzes Schneebrett drohte, vom Vordach direkt auf sie herunterzurutschen, und sie beeilte sich, aus der Gefahrenzone herauszukommen. In dem Moment wurde die Ladentür von innen geöffnet, und Katharina, bewehrt mit einem Schneeschieber, stand vor ihr.
    »Ups, zu spät?«, fragte sie und verzog das Gesicht zu einem Grinsen. »Ich hab’s total vergessen«, entschuldigte sie sich.
    Marilene strich sich über den Nacken, aber ein Teil des Schnees entkam ihren Händen, schmolz und rann eiskalt ihren Rücken hinunter. Sie stöhnte unwillkürlich und zog die Schultern hoch, während sie beobachtete, wie Katharina versuchte, das Schneebrett herunterzuziehen und gleichzeitig in den Garten zu befördern. Nicht allzu erfolgreich – einer Lawine gleich stürzte der Schnee herab und zerstob auf der Treppe.
    »Fehlkonstruktion.« Katharina kletterte über den Berg und begann von unten, die Stufen freizuschaufeln, wuchtete den Schnee nach links und traf die Tanne, die nun auch ihre weiße Last abstreifte wie überflüssigen Ballast. »Und ich sage dir, dafür war ein Mann verantwortlich«, schimpfte sie keuchend. »Die Regenrinne ist ein Witz, weder breit noch hoch genug, das Dach hätte überhaupt keine Neigung nach vorn haben dürfen, und selbst Regen hält es nur ab, wenn er senkrecht fällt, und wann tut er das schon, frage ich dich. Und ich wette, der Typ hat studiert, was wieder einmal die Frage aufwirft, wofür das gut sein soll, wenn so etwas dabei herauskommt.«
    Marilene grinste, diese Diskussion hatten sie bereits geführt. Katharina, die gern damit kokettierte, dass ihr »letztes Papier das Abitur war«, neigte durchaus dazu, Akademikern, die nicht wenigstens auch einen Knopf annähen konnten, ihre Weltfremdheit vorzuwerfen.
    »Rein mit dir«, befahl sie nun, »du holst dir ja noch was weg.«
    Marilene hielt ihr die Tür auf und folgte ihr hinein. Marie telefonierte gerade, winkte kurz, und Frau Borden kam ihnen entgegen, einen Stapel Bücher im Arm, nickte und ging in die Kinderbuchabteilung.
    »Setz dich.« Katharina wies in die Küche und brachte den Schneeschieber vor die Tür. »Einen Kaffee?«, erkundigte sie sich, als sie zurückkam.
    »Lebensrettend«, bejahte Marilene. Sie rückte näher an die Heizung, und ihr

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