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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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dass Sie weit weg von hier entführt wurden, Sie sich also nicht mehr so direkt in seinem Einzugsgebiet befinden. Verbringen Sie Zeit mit Christian, das wird Ihnen zusätzliche Sicherheit geben. Vielleicht zieht er für eine Weile bei Ihnen ein, oder umgekehrt, und wenn er Ihnen gar zu sehr auf die Nerven geht«, sie grinste, »dann schicken Sie ihn ruhig zu mir, damit ich ihm erklären kann, was mit Ihnen passiert, in Ordnung?«
    »Okay«, brachte Inka mit gepresster Stimme hervor. Zu einem Nicken konnte sie sich nicht durchringen.
    ***
    Gleich zwei auswärtige Mandanten hatten wegen des Wetters ihre Termine abgesagt, ihr nicht geglaubt, dass in Wiesbaden von Schnee keine Spur war. Im Umland musste es ganz anders aussehen, vermutlich waren sogar Telefonleitungen lahmgelegt, denn Marilenes Apparat weigerte sich beharrlich zu läuten. Sie hatte nichts zu tun, oder nur so wenig, dass ihr dafür die Energie fehlte, sich mit dem Hin- und Herschieben von Papieren beschäftigt, bis es ihr zu dumm geworden war. Gerrit war nicht im Haus, überhaupt machte er sich rar in letzter Zeit, jetzt wäre ihr sein hyperaktives Strahlen willkommen gewesen, und Lothars Anblick versagte sie sich bewusst. Da war etwas im Busch, und wer würde schon freiwillig nachschauen, worum es sich handelte, wenn alle möglichen Ungeheuer dort lauern konnten.
    Sie war unruhig, ohne dass sie den Grund dafür benennen konnte, und sie musste etwas tun, bevor sich dies Gefühl zu einem Zustand auswuchs. Sie sollte nach Hause fahren, sich ins Bett legen und die Decke über den Kopf ziehen, bis es vorbei war. Wenn sie noch allein lebte, würde sie das wahrscheinlich sogar tun, dachte sie, aber Niklas so unvorbereitet mit den Stimmungsschwankungen einer erwachsenen Frau zu konfrontieren, schien ihr nicht fair.
    Erwachsen? Mittelalt träfe es eher. Moment mal, waren dies etwa die ersten Anzeichen der Wechseljahre? Nicht auszuschließen. Unfassbar. Nein, gewiss lag es allein am Wetter und der so plötzlich über sie hereingebrochenen freien Zeit, dass ihr so seltsam zumute war. Freizeit musste geplant sein, sonst war sie manchmal unerträglich.
    Marilene hatte eben mit ihrem Vater telefoniert, ihn zunächst erschreckt, denn normalerweise fanden ihre Gespräche sonntags statt, doch dann hatte er sich über den unerwarteten Anruf gefreut. Sie hatte ihm von den Entführungen erzählt und schließlich erfahren, dass in der »Ostfriesen Zeitung« von einem ähnlichen Fall berichtet worden war. Die Frau sei zu einer Fortbildung in Hessen gewesen, als sie entführt wurde, ebenfalls nach ein paar Wochen wieder aufgetaucht und nun wieder wohlbehalten in Leer.
    Marilene wünschte, sie wüsste ihren Namen. Moment, das war vielleicht nicht so schwierig herauszufinden. Sie googelte den entsprechenden Bericht, na bitte, beglückwünschte sie sich, Inka M., das war in einer Stadt der Größenordnung von Leer zu bewerkstelligen, und ging die M’s im Telefonbuch durch.
    Jetzt starrte sie auf den Zettel mit Inka Morgenroths Nummer. Nein, beschloss sie, sie würde lieber versuchen, ein persönliches Gespräch mit ihr zu führen. Stattdessen nahm sie den vom tagelangen Hin- und Herschieben schon ganz zerknitterten Zettel zur Hand, auf dem Name und Nummer des Anwalts in Leer standen, der einen Nachfolger für seine Kanzlei suchte.
    Sie vereinbarte einen Gesprächstermin für Montag, Rosenmontag, ein Ereignis, das das öffentliche Leben im Norden der Republik nicht zum Erliegen brachte. Zudem hatte Arne schulfrei, sodass sie ihn mitnehmen könnte, und das war doch wohl ganz klar besser, als Schlitten zu fahren. Zwei Fliegen, dachte sie, nein, drei – vielleicht war das ein Zeichen.
    Wie immer, wenn es sie nicht länger auf ihrem Stuhl hielt, sprang sie auf und stürzte los. Ein Beobachter würde glauben, sie hätte etwas Wichtiges vergessen – ein Einkauf kurz vor Ladenschluss, ein offenes Verdeck bei einsetzendem Platzregen, nein, ganze drei Schritte führten sie ans Fenster, wo sie abrupt stehen blieb, die Vollbremsung vor sich schließender Schranke, und reglos hinausstarrte.
    Die reine Trübsal, befand sie. Vom Schnee des vorigen Abends war nichts mehr übrig. Ein kräftiger Wind kräuselte die Pfützen und ließ die Zweige ihrer Linde zusammenschlagen, dass es klapperte wie von dürren Knochen, und die vier oder fünf verbliebenen altersstarrsinnigen Blätter klammerten sich verzweifelt fest, als könne dies sie hinüberretten in den nächsten Frühling. Der Himmel war

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