Spuren des Todes (German Edition)
geschwollen, die Wange unter ihrem linken Auge blutunterlaufen und dunkelviolett verfärbt. Und sie habe die ganze Zeit zu Boden geschaut, als wollte sie verhindern, dass jemand sie erkennt und anspricht.
Das junge Paar hatte erst wenige Monate in dem Haus gewohnt und zu den Nachbarn bisher immer Distanz gehalten. Man wusste kaum etwas über die zwei. Irgendjemand habe mal erzählt, sie sei Rumänin und er Russe, aber das stimmte nur zur Hälfte. In Wirklichkeit stammten die Eltern von beiden aus Rumänien. Sie waren Banater Schwaben, also Rumänien-Deutsche, und Anfang der neunziger Jahre aus Temewar, einer recht großen Stadt im Westen des Landes, in die Bundesrepublik gekommen.
Das wusste die Polizei so genau, weil es über den jungen Mann eine Akte gab. Genauer gesagt gab es mehrere Akten, einen ganzen Stapel, verteilt auf verschiedene Kommissariate bei mehreren Polizeibehörden. Er war in den letzten Jahren wiederholt straffällig geworden und hatte deswegen auch einige Zeit im Gefängnis zugebracht. Einbruch, Drogenhandel, Fahren ohne Führerschein, Diebstahl, gefährliche Körperverletzung – eine beachtliche Liste, vor allem dafür, dass er gerade mal dreiundzwanzig Jahre alt war.
Auch der Tod der jungen Frau schien auf sein Konto zu gehen. Der Streit sei diesmal lauter gewesen als üblich, gab der Nachbar zu Protokoll. Doch gerade als er die Polizei verständigen wollte, sei nebenan Stille eingekehrt, urplötzlich, von einem Zeigerschlag auf den nächsten. Seine Frau und er hätten noch kurz überlegt: Vielleicht hatten sie sich ja geirrt, und das Geschrei war aus einem Fernseher gekommen, den jemand zu laut aufgedreht und dann auf einmal ausgestellt hatte. Daraufhin hatte der Rentner den Hörer wieder weggelegt und war vors Haus gegangen, um nebenan durchs Fenster zu spähen. Wie ein aufgescheuchtes Huhn sei der junge Mann durchs Wohnzimmer getapert, immer hin und her, als hätte er nicht gewusst, wohin mit sich. Ob die Frau da schon auf der Couch lag, in dem Zustand wie jetzt, konnte er nicht sagen. Dieser Teil des Zimmers war von seiner Position aus nicht einzusehen gewesen.
Der Rentner war in seine Wohnung zurückgegangen, und fast hätte er es dabei belassen. Doch kurz darauf hörte er, wie nebenan eine Tür krachend ins Schloss fiel. Und dann huschte eine Gestalt hastig an seinem Küchenfenster vorbei – offenbar der junge Nachbar. Irgendwie habe ihm die Sache keine Ruhe gelassen, meinte der Zeuge, also habe er doch zum Telefon gegriffen und die 110 gewählt.
Die Polizisten, die dann die Leiche der jungen Frau fanden, schienen in Sachen Tötungsdelikte nicht sonderlich erfahren. Nachdem sie am Tatort eingetroffen waren, hatte eine ihrer ersten Handlungen darin bestanden, das Fenster zu schließen, das im Wohnzimmer offenstand. Es sei sehr zugig gewesen, rechtfertigten sich die Beamten hinterher. Dass sie dadurch die Raumtemperatur veränderten, die rasch um fünf, sechs Grad anstieg, und damit auch den Abkühlungsprozess der Leiche beeinflusste, der für die Ermittlung des Todeszeitpunkts nicht unerheblich war, scheint ihnen nicht in den Sinn gekommen zu sein. Dabei dürfte das so ziemlich in jedem Handbuch stehen, das es zum Thema Todesermittlungen gibt.
Fast zwei Stunden nahmen die Leichenbesichtigung und die Untersuchungen zur Feststellung des Todeszeitpunkts in Anspruch. Es gab kaum eine Stelle am Körper der jungen Frau, die keine Zeichen von stumpfer, äußerer Gewalteinwirkung aufwies. Am Oberkörper, auf dem Rücken, an den Armen und Beinen – überall Schürfwunden und Hautunterblutungen, einige frisch, andere schon älter. Der linke Oberarm war dazu noch auf unnatürliche Weise verbogen – ein offener Bruch. Die zwei Teile des geborstenen Knochens standen fast im rechten Winkel zueinander. Einige der Knochenspitzen hatten sich durch die Haut gebohrt.
Das Gesicht hatte ebenfalls böse etwas abbekommen, es war regelrecht entstellt. Die linke Gesichtspartie war stark angeschwollen und ums Auge herum zusätzlich von einem kräftigen Monokelhämatom gezeichnet. Dieser ringförmige Bluterguss, der wie ein blaues Auge aussah, nur schlimmer, konnte ein Hinweis für einen Schädelbasisbruch sein. Ob der hier vorlag, würde man allerdings erst bei der Obduktion herausfinden.
Unklar war auch, wie man die Spuren im Genitalbereich des Opfers zu deuten hatte. Am Anus haftete Blut, und er wirkte gedehnt, als sei er penetriert worden. Wobei das nur eine Möglichkeit war, die man in
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