Spurlos in der Nacht
nicht. Und mein Auto stand gleich hier hinter.» Sie machte eine entsprechende Kopfbewegung. «Ich habe kurz mit dem Kollegen gesprochen, der mich ablöste, dann bin ich gegangen, das war alles.»
«Wissen Sie noch, wer das war?»
«Das war Nils», sagte sie rasch. «Nils Bergman, er studiert und jobt nebenbei. Lernt tagsüber und arbeitet nachts, oder umgekehrt, je nach Dienstplan.»
«Sie sind also um Mitternacht gegangen», sagte Cato Isaksen und wurde von einem weiteren Auto unterbrochen, für das bezahlt werden musste. Er notierte den Namen des Kollegen und beschloss, mit dem Wagen durch den Oslofjordtunnel zu fahren. Es ging darum, Kathrines Spuren zu folgen. Das hätte er schon längst tun sollen, auch wenn sie gar nicht wussten, ob sie durch den Tunnel verschwunden war. Er bedankte sich bei Mai Britt Hansen für die Auskünfte und sagte, er werde sich wieder melden. Dann holte er den Wagen und fuhr vorbei an Kenneth Hansens Mutter, die ihn gratis den Tunnel passieren ließ.
Als er sich der Tunnelöffnung näherte, wurde er für einen Moment von der Sonne geblendet. So unbehaglich er sich fühlte, als er danach in den Tunnel fuhr, so überrascht war er darüber, wie hell und schön die Tunnelwände waren. Er hatte von dem künstlichen rosa und blauen Licht gelesen, das die fast weißen Felswände prägte. Ein Psychologe hatte gesagt, Menschen mit Tunnelangst könnten einen hellen Tunnel leichter bewältigen. Das konnte durchaus stimmen. Die Straße führte ziemlich steil nach unten. Das künstliche Licht wirkte beruhigend. In regelmäßigen Abständen gab es Ausweichstellen, von denen Eisentüren in den Berg führten.
Cato Isaksen überlegte sich, was in der Nacht, in der Kathrine verschwunden war, geschehen sein konnte. War sie zu Bekannten ins Auto gestiegen, oder hatte ein Fremder sie mitgenommen? War sie überhaupt durch den Tunnel gefahren, oder war sie in den Ort zurückgegangen? War sie durch den Wald gehumpelt oder war sie dem Weg gefolgt? Er fasste das Steuerrad fester. Bald sah er das Licht am Ende des Tunnels.
Im ersten Verteilerkreis auf dem Hurumufer kehrte er um und fuhr wieder zurück. Er ertappte sich bei dem Gedanken, was sich wohl hinter den Eisentüren verstecken mochte.
Als er wieder das Drøbakufer erreicht hatte, blieb er am Straßenrand stehen und rief die Auskunft an, um sich Telefonnummer und Adresse von Nils Bergman geben zu lassen. Er erhielt eine Handynummer, doch das Telefon war ausgeschaltet. Deshalb beschloss er, den Studenten aufzusuchen. Er ließ den Motor wieder an und rief auf der Wache an, während er nach Drøbak fuhr. Er musste mit Roger sprechen und ihm von seiner Begegnung mit Mai Britt Hansen erzählen.
Als das Gespräch beendet war, hatte er das Meer bereits erreicht. Aus einem Impuls heraus hielt er an und drehte eine Runde durch den Yachthafen, ehe er Bergman aufsuchte.
Er fand Tage Wolters Boot, das zwischen zwei weniger ansehnlichen Booten vor sich hin dümpelte. Cato Isaksen erkannte es am Namen. «Amora» stand in schwarzen Buchstaben an der Seite. Er drehte sich um und schaute das Standbild der drei Meerfrauen an, das am Ufer stand, dann sprang er an Bord. Das Boot war zwar nicht neu, aber sehr gut in Schuss. Er bückte sich und schaute sich um. Im Boot war alles ordentlich und sauber. Nach fünf Minuten sprang er wieder an Land.
Auf einer Bank am Steg saß eine alte Frau. Cato Isaksen ging zu ihr hin. Sie trank aus einer Bierdose.
«Sitzen Sie oft hier?», fragte er. Die alte Frau schaute ihn misstrauisch an und sah zuerst verängstigt, dann wütend aus.
«Ist das verboten», fragte sie mit scharfer Stimme.
«Absolut nicht», Cato Isaksen lächelte entwaffnend. «Ich wüsste nur gern, ob Sie manchmal hier Leute bei den Booten sehen, auch wenn die Saison noch nicht angefangen hat.»
«Hier ist das ganze Jahr Sessong.»
«Das Boot da hinten, die Amora», Cato Isaksen zeigte auf Tage Wolters Boot. «Haben Sie da in letzter Zeit jemanden gesehen?»
«Männer sind Untiere», sagte die Frau und nickte zu einem anderen Boot weiter weg hinüber, wo ein älterer Mann mit irgendetwas beschäftigt war. Plötzlich sah Cato Isaksen, dass der Mann eine Schnapsflasche in der Hand hielt. «Der hat mich eine alte Schabracke genannt.»
«Ach», sagte Cato Isaksen und drehte sich um.
«Die nehmen Frauen mit auf die Boote. Das hab ich gesehen.»
«Der auch?» Cato Isaksen nickte zu dem Mann mit der Schnapsflasche hinüber.
Das alte Gesicht der Frau öffnete
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