Spurlos in der Nacht
überkam ihn wieder diese seltsame Unruhe. Das kannte er schon von früheren Fällen her. Manche bezeichneten sowas als Intuition. Wenn sich ein kleines Stück ins Muster fügte, wenn ein Faden zum Gewebe passte. Das Problem war nur, dass er noch nicht bei Puzzlestücken oder Fäden angekommen war. Das mit dem blutigen T-Shirt musste aber doch etwas bedeuten. Ansonsten wirbelten nur abstrakte Gedanken durch sein Gehirn, die sich zu neuen Möglichkeiten zusammenschließen wollten. Er versuchte die Informationen, die er im Kopf hatte, zu ordnen. Aber das Ganze blieb undeutlich.
Er schob ein Stück Schokolade in den Mund. Das Radio brachte ein Popstück aus den achtziger Jahren. Danach verbreitete sich ein Professor über schwarze Löcher im Himmel. Er erwähnte außerdem einen Stern namens Eta Cygnus.
Als er gegen neun Uhr endlich zu Hause in Asker eintraf, schlief Georg schon. «Er war total erschöpft», sagte Bente zu seiner Entschuldigung. Cato sah sie an und sie wusste, was er dachte. Dass sie Georg ins Bett gesteckt hatte, um an diesem Freitagabend Ruhe zu haben. Eigentlich spielte das aber keine Rolle. Er war müde. Und freute sich auch darüber, dass Ruhe herrschte.
Bente wollte Tee kochen, er bat sie jedoch, eine Flasche Wein zu öffnen. «Na gut», sagte sie fröhlich und verschwand in der Küche.
Während Bente sich über den Tisch beugte und Wein einschenkte, verspürte er plötzlich den Drang zu schreien. Er sprang auf und lief ans Wohnzimmerfenster. Dort blieb er eine Weile unschlüssig stehen, dann riss er die Verandatür auf und schaute hinaus in den Garten. Er holte einige Male tief Luft, dann drehte er sich um und schaute Bente an, die hinter ihm stand und ihn besorgt musterte. «Was ist los», fragte sie.
«Nichts», sagte er leichthin. «Ich dachte nur, ich hätte den Kater gehört.»
Ein wenig später rief er Maiken Stenberg an. Er hoffte, dass sie sich ein wenig beruhigt hatte. Zuerst meldete sie sich nicht. Als sie dann endlich zum Hörer griff, konnte er ihrem Atem anhören, dass sie schreckliche Angst hatte. Er gab ein paar Phrasen von sich, um sie zu beruhigen. Am Ende fragte sie mit dünner Stimme, ob es etwas Neues gebe und ob sie schon mehr über das blutige T-Shirt wüssten.
«Nein», sagte Cato Isaksen. «Und du solltest jetzt nicht mehr daran denken. Es dauert einige Tage, bis das Blut analysiert ist. Verreist du eigentlich in den Osterferien?», fragte er dann. Aber das hatte sie nicht vor. Die ganze Familie würde zu Hause bleiben.
Cato Isaksen erklärte kurz, warum er anrief. «Ich brauche noch ein paar Auskünfte, wenn du so nett wärst.» — «Ja», sagte sie ängstlich.
«Weißt du, ob Lars in Kathrine verliebt war?»
«Lars? Nein», sagte sie verwundert. «Das glaube ich nicht.»
«Er hat sie an dem Abend, an dem sie verschwunden ist, mitgenommen. Er sagt, er habe sie zum Tunnel gefahren, weil sie dort mit jemandem verabredet war.»
«Ach.»
«Und ich fand es ja doch seltsam, dass er das erst jetzt verrät.»
Maiken schwieg.
«Du hast mir eine Liste mit den Namen von Kathrines Freunden gegeben», sagte Cato Isaksen dann. «Aber André fehlt darauf. Kenneth sagt, dass das T-Shirt seinem Bruder gehört.»
«Das kann sein, aber dann muss Kenneth es ausgeliehen haben, denn André war nie hier.»
«Warum nicht?»
«Es können nicht alle dick befreundet sein», sagte sie. «André hat andere Freunde. Er ist ganz anders», erklärte sie energisch. Im Hintergrund lachte jemand laut. «Tut mir Leid», sagte sie.
«Hast du Besuch?»
«Das ist Alexander», sagte sie verlegen.
«Wieso ist André anders?», fragte Cato Isaksen.
«Ich weiß nicht so recht, aber jedenfalls ist er der totale Computerfreak. Ein echter Nerd.»
«Inwiefern?»
Er konnte ihrer Stimme anhören, dass sie seine Fragen jetzt satt hatte. Sie gab keine Antwort.
«Mögt ihr ihn nicht?»
«Das habe ich mir noch nie überlegt», sagte sie und schien von dieser Frage überrascht zu sein.
«Was hat er denn für Freunde?»
«Keine Ahnung. Gar keine, glaube ich. Oder doch, jetzt fällt es mir ein. Ein Mädchen aus der Schule. Sie heißt Solvi Steen. Sie ist auch so eine ganz besondere Type.»
«Ich habe André Hansen für morgen zur Vernehmung bestellt», erklärte Cato Isaksen jetzt. «Und ich muss dich ganz offen fragen, ob Kenneth Kathrine unter Druck gesetzt hat.»
Am anderen Ende der Leitung war es ganz still. «Ich weiß nicht», sagte Maiken endlich. «Wie meinen Sie das?»
«Hat er sie dazu
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