Spurlos
Shanes Hotel entfernt.
„War nicht so einfach, die Sache mit deinem Partner, was?“ Costarelli blies den Rauch aus.
„Hm“, machte Shane.
Ja, es war nicht leicht, und es ist nicht leicht, Überlebender zu sein, dachte er. Al Marlowes Geburtstag, die fröhliche Stimmung im Pub, dann, der Aufbruch nach Hause. Der dunkle Parkplatz. Seine Worte, wie er Jack überredete zu Fuß zu gehen und nicht in ein Taxi einzusteigen, obwohl eines da war. Diesen Moment in seinem Leben konnte er sich nie verzeihen. Wenn Jack ins Taxi gestiegen wäre, wäre er heute noch am Leben. Und Evans und Hawkings auch. Shane spürte, wie sich wieder sein Inneres zusammenzog. Er hatte als einziger überlebt. Seitdem litt er unter noch stärkeren Schlafstörungen, , musste seine Schmerzen im Bein immer wieder mit Schmerzmitteln betäuben, wurde öfter krankgeschrieben. Man hatte ihm eine Psychotherapie verordnet. Er sagte immer wieder die Sitzungen ab – und in denen, die er tatsächlich wahrnahm, litt er noch mehr, da ihm immer klarer wurde, dass er die Schuld trug.
Einmal sagte die Therapeutin: Sie wollen nicht darüber hinwegkommen. Welche Schuld tragen Sie mit sich herum? Ist das wirklich Ihre?
Shane sah Costarelli an,
„ Jacks Mörder ist tot. Aber Jack ist nicht wieder lebendig geworden.“
Costarelli drückte die Zigarette aus und zog die Nase hoch.
„ Verdammte Sache, wenn es so endet.“
Sie hoben beide fast gleichzeitig das Glas und tranken. Ein Kellner wischte die Theke unter ihren Gläsern sauber. Sie stellten die Gläser ebenso gleichzeitig wieder ab.
„Warum hinterlässt er mir so eine Nachricht, Tony? Genießen Sie Ihren wohlverdienten Ruhestand.“ Das ließ ihn die ganze Zeit nicht los.
„ Vielleicht will er, dass du ihn endlich findest?“ Costarelli hustete und nahm eine neue Zigarette aus der Packung. „Was weiß man schon, was in diesen verdammten Shitheads vorgeht?“
Shane dachte an Valerie Tates Krimi-Bibliothek. Er war sicher, unter den Büchern befand sich eines mit einem ähnlich grausamen Mord. Und Valerie Tate hatte in ihrem weißen Wohnzimmer auf ihrer weißen Couch gesessen, ein Glas Wein vor sich und sich wohlig gegraust. Was für eine Ironie des Schicksals!
Auf zwei großen Bildschirmen liefen Musikvideos. Die meisten der Gäste waren junge Leute, Anfang zwanzig, schätzte Shane. Viele von ihnen schienen Backpacker zu sein, die nach dem Ende der Schulzeit in Europa oder Amerika für ein paar Monate durch Australien reisten. Und schon dachte er wieder an seine Fälle, in denen Backpacker grausamen Mördern zum Opfer gefallen waren – wann würden diese Gedanken aufhören?
„ Vielleicht schreib’ ich auch ein Buch.“ Costarelli tippte sich an die Stirn. „Hier ist so viel drin, das raus will! Shane, du solltest das auch machen, wenn du aufhörst.“
„Ganz bestimmt nicht! Mein Vater schreibt eins über Wale. Das geht jetzt seit fast einem Jahrzehnt. Und ich hab` noch keine einzige Zeile davon zu sehen gekriegt.“
Eine Gruppe junger Frauen mit kurzen, engen Tops drängte sich an ihnen vorbei an einen frei gewordenen Tisch. Costarelli musterte ihre in engen Jeans verpackten Hintern.
„Wahrscheinlich interessierst du nicht genug dafür“, murmelte er abwesend.
Shane wusste, e r würde ganz sicher nicht anfangen zu schreiben. Er hörte bei der Polizei auf, weil er Abstand brauchte, weil er die Gedanken an Verbrechen nicht mehr ertragen konnte. Da würde er ganz sicher nicht ein Buch schreiben, das ihn zwang, sich zu erinnern.
Sie tranken ihr Bier und zahlten.
„Danke, dass du hier geblieben bist“, sagte Costarelli auf der Straße.
„Ich hatte ja gar keine andere Wahl, oder?“
Costarelli verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. Dann wurde er schlagartig ernst. „Das ist unser letzter Fall, oder?“
„ Es ist sicher mein letzter, ja.“
Costarelli hob den Kopf, und sah in den Sternenhimmel.
„Ich glaube, es ist auch mein letzter.“
„ Dann tun wir unser Bestes.“
„Ja, Mann. Werden wir nicht noch am Ende sentimental, was?“ Costarellli klopfte ihm auf die Schulter. „Gute Nacht.“
8
Um zwölf Uhr nachts war Shane noch immer wach. Nur mit einem Handtuch um die Hüften geschlungen stand er im dunklen Zimmer und blickte vom fünften Stock hinunter auf die Mitchell Street, in die allmählich Ruhe einkehrte. Aus dem erleuchteten Eingang des Kinos auf der gegenüberliegenden Straßenseite kamen ein paar Menschen, meist jüngere Pärchen, die den Abend
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