ST - TOS 101: Feuertaufe: McCoy - Die Herkunft der Schatten
dass die allgemeine Armut und die Not die Teilnehmerzahl an einem Ereignis, das auch in seiner Zeit noch gefeiert wurde, verringern würden. Doch wenn er so darüber nachdachte, ergab die große Anzahl der Leute an diesem Ort Sinn. Da die Umstände für viele von ihnen so schwer geworden waren, mussten sie dem kommenden Jahr voller Hoffnung auf ein besseres Leben entgegensehen.
Neben ihm auf dem Bürgersteig steckte Edith ihre behandschuhten Hände in die Taschen ihres langen Wintermantels. Das Wetter schien ihr ansonsten jedoch kaum etwas auszumachen. Sie starrte voller offensichtlicher Erwartung in Richtung des schlanken Times Towers, von dessen Spitze bald eine große beleuchtete Kugel herabgesenkt werden würde, um das neue Jahr einzuläuten. McCoy hatte nicht an diesen Festivitäten teilnehmen wollen und Edith’ Einladung mehrfach abgelehnt, bis er schließlich doch nachgegeben hatte. Er vermutete, dass sie beabsichtigte, seine schlechte Laune zu bessern.
McCoy betrachtete sie einen Moment lang und war dankbar, dass er bei seiner Ankunft in der Vergangenheit in die Mission in der Einundzwanzigsten Straße und damit in Edith’ Leben gestolpert war. Vom ersten Tag an hatte sie ihm auf so viele Weisen geholfen. Mittlerweile glaubte er sogar, dass ihre Freundschaft und Unterstützung dafür gesorgt hatten, dass er nicht den Verstand verloren hatte, auch wenn sie seine besonderen Umstände nicht vollständig begriff. Doch trotz allem fühlte sich McCoy immer noch verloren und allein. Selbst während er neben Edith stand, selbst umgeben von Tausenden feiernden Menschen auf dem Times Square, sorgte sein Aufenthalt in der Vergangenheit dafür, dass er sich isoliert fühlte. An manchen Tagen konnte er seine Notlage fast vergessen, konnte sich beinahe so sehr in den Einzelheiten des täglichen Lebens verlieren, dass er gar die Gefahren seiner unbeabsichtigten Zeitreise für eine Weile vergaß. Für kurze Zeit legte er dann seine einsame Existenz und sein wachsendes Gefühl der Verlassenheit ab. Doch die Realität blieb nie lange fern. Wann immer die Erinnerung an ein Ereignis auftauchte, das in dieser Zeit noch nicht stattgefunden hatte, oder er über etwas nachdachte, das der Bevölkerung der Erde noch nicht bekannt war, kehrte die Schwere von McCoys Situation augenblicklich zu ihm zurück.
Um ihn herum bewegte sich die Menschenmenge vor und zurück, hin und her wie eine lebende Verkörperung von Ebbe und Flut. Die Vorfreude schien zu wachsen, als die letzten Minuten des Kalenderjahres und der erste Moment des neuen Jahres nahten. Der Wind trug die Geräusche der Stimmen herüber, jedoch nur wenige verständliche Worte. Überall schienen die hellen Lichter des Kapitalismus, als würden sie verzweifelt versuchen, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Film- und Burlesquetheater bewarben ihre Angebote voller Enthusiasmus, am heftigsten von allen die Markise auf der gegenüberliegenden Seite, die die Premiere von
Dr. Jekyll und Mr. Hyde
ankündigte.
McCoy kannte die alte Geschichte des schottischen Schriftstellers Robert Louis Stevenson und fand sie in Bezug auf seine eigene Situation irgendwie passend. In gewisser Weise führte auch er eine Art Doppelleben: Zukunft und Vergangenheit, Arzt und Zivilist, extrovertierter und zurückgezogener Mensch.
Ich habe die Vergangenheit verändert
, dachte McCoy.
Oder ich werde es
. Er hatte etwas getan – oder würde es tun –, von dem Spock befürchtet hatte, dass Captain Christopher es tun würde: die Vergangenheit verändern und dadurch die Zukunft beeinflussen. War Jim – würde Jim – im Jahr 2233 überhaupt in Iowa geboren werden? Würde er die
Enterprise
kommandieren? Würde das Schiff überhaupt existieren? Oder die Sternenflotte?
Was immer ich getan habe, was immer ich tun werde
, zwang sich McCoy zuzugeben,
wird meine Rettung unmöglich machen
. Gleich darauf folgte ein weiterer unangenehmer Gedanke:
Ich sollte mich umbringen
.
In dem ohnehin schon kalten Wetter wurde McCoy von einer noch viel größeren Kälte ergriffen. Selbst während der schlimmsten Phase der schrecklichen Krankheit seines Vaters und der dunklen Zeit, nachdem er ihr schließlich erlegen war, hatte McCoy nie Selbstmordgedanken gehegt. Auch in den dunklen Stunden, in denen er und Jocelyn jegliche Liebe, die sie je füreinander empfunden hatten, zerstörten und sich unausweichlich auf eine Trennung und schließlich die Scheidung zubewegten, war es für ihn nie eine Option gewesen, sich das Leben zu
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