ST - TOS 101: Feuertaufe: McCoy - Die Herkunft der Schatten
Als der Schlaf – sowie die oftmals beunruhigenden Träume, die ihn begleiteten – durch die Dunkelheit herankroch, wurde ihm klar, dass er sich seltsamerweise gut dabei fühlte, die Mission zu verlassen und in einer eigenen Wohnung zu leben. Er weigerte sich, es als Neuanfang anzusehen, und klammerte sich auch weiterhin an die Überzeugung, dass er in sein Leben im dreiundzwanzigsten Jahrhundert zurückkehren würde.
Dennoch konnte er nicht anders, als sich an Keelers Worte von vorhin zu erinnern:
Vielleicht kommen Ihre Freunde nicht
. Auch wenn er gelegentlich darüber nachgedacht hatte, war es ihm momentan unmöglich, es tatsächlich zu glauben. Trotzdem hatte er keine andere Wahl, als die Tatsache zu akzeptieren, dass er bereits seit einem Jahr in der Vergangenheit feststeckte.
Ein Jahr meines Lebens
, dachte er,
aber nicht notwendigerweise auch ein Jahr in Jims und Spocks Leben
. Auch wenn es ihn stets schrecklich verwirrte, über die Realitäten und Möglichkeiten des Zeitreisens nachzugrübeln, schien es plausibel, dass er vom Jahr 2267 ins Jahr 1930 gereist sein konnte und Jim und Spock im Jahr 1931 erscheinen mochten, um ihn nach 2267 zurückzubringen, wo unterdessen nur eine Woche vergangen war. Andererseits erschien ihm das doch recht unwahrscheinlich und klang eher nach Wunschdenken als nach Vernunft – eine Lüge, die er sich selbst erzählte, damit er nicht den Verstand verlor. Denn obwohl er darauf wartete, nach Hause zurückzukehren, obwohl er die Zeitungen überall auf der Welt mit Anzeigen spickte, um auf seinen Aufenthaltsort aufmerksam zu machen, und obwohl er fest davon überzeugt war, irgendwann gerettet zu werden, verfolgte ihn die Vorstellung, für den Rest seines Lebens in der Vergangenheit gefangen zu sein, doch jeden Tag.
Es dauerte über eine Stunde, bis McCoy endlich die Augen zufielen. Er schlief unruhig und wurde von denselben, undeutlichen Bildern heimgesucht, die ihn so oft bedrängten, seit er hier angekommen war. In dieser Nacht gesellten sich jedoch noch andere Gesichter zu seinen Albträumen, Gesichter, die er ohne Schwierigkeiten zuordnen konnte. Sie gehörten alle seiner Tochter: als Baby, als kleines Mädchen, als junge Frau.
Am nächsten Morgen war McCoy völlig ausgelaugt und gereizt. Und so begann er das zweite Jahr seines Lebens in der Vergangenheit der Erde.
II
Der Sorgen Heer
O Herz, wie hat sich’s zugetragen,
Dass jetzt die Kraft des Wollens ruht,
Dass dir zum Fragen fehlt der Mut,
»Was macht mich nur so langsam schlagen?«
Das ist’s, was dir genommen ward.
Ein Glück aus früher Jugend her.
Brich, tiefer Kelch, von Tränen schwer,
Die durch den Gram zu Eis erstarrt!
So ziehet nachts der Sorgen Heer
Die willenlose Seele nieder;
Am Morgen spricht der Wille wieder:
»Sei des Verlustes Spiel nicht mehr!«
– Alfred, Lord Tennyson
In Memoriam A.H.H
., IV
DREIZEHN
1931/1932
Edith starrte über die von der Nässe durchweichte Fläche und suchte nach Leonard. Der Dunst ihres Atems schwebte in der kalten Winterluft vor ihrem Gesicht wie ein sommerlicher Geist. Holz- und Glasstücke sowie andere Trümmer lagen über den großen, matschigen Bauabschnitt verstreut. Dieses städtische Treibgut stellte die einzigen erkennbaren Überreste der baufälligen Sandsteinhäuser dar, die hier noch bis vor Kurzem gestanden hatten. Sie wusste, dass Leonard während der vergangenen Monate dabei geholfen hatte, diese Gebäude abzureißen. Der Abbruch hatte die schäbigen Hausbesetzer und Verbrecher, die sich hier einst tummelten, einen nach dem anderen vertrieben. An ihrer Stelle hatten Leonard und die anderen Arbeiter eine zerstörte Landschaft zurückgelassen, einen langen Streifen pockennarbiger Erde, die vom nassen Wetter aufgeweicht war. In den letzten Tagen war die Temperatur zurückgegangen, jedoch nicht weit genug, um den durchtränkten Boden zu gefrieren. Die große, mit Abfall übersäte Fläche war nicht nur durch einen Bretterzaun von der umliegenden Nachbarschaft abgetrennt, sondern scheinbar auch durch die Ankunft der Zivilisation, die überall um sie herum sichtbar war und auf diesem kahlen Grundstück dennoch fehlte. Das gewaltige, gotische Gebäude der St. Patrick’s Cathedral sah von der anderen Seite der Fifth Avenue darauf hinab, als würde es dieses leerstehende Land verhöhnen.
Edith spürte den kalten Hauch des Windes an ihrer Kehle und streckte die Hand aus, um den obersten Knopf ihres schweren Wintermantels zu schließen. Die kleine braune
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