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Stadt Aus Blut

Stadt Aus Blut

Titel: Stadt Aus Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Huston
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und Basilikum anzupflanzen. Bis auf diesen einen Typen, der Bildhauer war und nichts anbauen, sondern nur bauen wollte. Innerhalb kürzester Zeit hatte er das ganze Areal mit seinen Werkzeugen, Holzstücken und anderem Müll komplett verschandelt. Die Gärtner waren sauer und wollten ihn rausschmeißen. Sie drohten sogar mit dem Anwalt. Schließlich einigten sie sich auf einen Kompromiss: Jeder, der ein Stück vom Garten hatte, durfte darauf tun, was er wollte, solange er innerhalb seiner Grenzen blieb. Damit waren alle einverstanden – und der Spinner fing an, den Turm zu bauen.
    Er ist ungefähr sechs Stockwerke hoch, besteht zum größten Teil aus Holz und ähnelt dem windschiefen Skelett einer sehr dünnen Pyramide. In jeder Ritze, an jeder Planke und auf jedem Quadratzentimeter ist die verdammt unglaublichste Müllsammlung angebracht, die je ein Mensch gesehen hat: Alte Straßenschilder, Toilettensitze, das riesige Modell eines Passagierflugzeugs, Spielzeug in allen Formen und Größen, ein Waschbecken, diverse Statuen, Flaggen, und zum krönenden Abschluss eine ausgestopfte Giraffe, die auf der Spitze sitzt und den Garten überblickt. Aber: Das Fundament des Turms ragt nicht einen Millimeter über die Grenze des kleinen Gartens hinaus. Man muss sich einmal vorstellen, was für eine Scheißarbeit es war, dieses Ding zu bauen. Im Moment hoffe ich, dass es zumindest stabil ist. Immerhin bin ich schon ungefähr drei Meter dran hochgeklettert, und wenn der Hund noch höher springt, muss ich mich noch weiter hinaufwagen.
     
    Von der Bar bis zum Garten brauche ich nur ein paar Minuten. Leprosy ist nirgends zu sehen. Ich gehe eine Weile den Zaun entlang und versuche, irgendwas zu erschnuppern, bevor ich rüberklettere. Das ganze Areal liegt im Dunkeln, und die drückende Luft riecht nach Hochsommer – Erde, Blüten, überreife Früchte und so Zeug. Dieser Duftcocktail verwirrt mich, und wie ich so dastehe und die Gerüche zuzuordnen versuche, höre ich ein leises Wimmern. Ich schleiche um ein paar Maisstauden in den Schatten des knarrenden Turms. An der Wand eines der Mietshäuser, die an den Garten grenzen, steht ein Hund, winselt und beschnüffelt irgendwas. Ich trete aus dem Schatten.
    – Hey, Gristle, alter Junge.
    Sein Kopf fährt beim Klang meiner Stimme herum.
    – Ganz ruhig, Gristle.
    Ein tiefes Knurren dringt aus seiner Kehle.
    – Wir wollen doch keinen Streit, oder? Ruhig. Wo ist Leprosy? Wo ist er, alter Junge?
    Warum frage ich den Hund, ob er weiß, wo Leprosy ist? Keine Ahnung. Ich finde es irgendwie angebracht. Als er Leprosys Namen hört, dreht er sich um, winselt und wendet sich wieder dem Ding zu, das ihn so interessiert. Irgendwas ist hier faul.
    – Was hast du denn da, mein Junge?
    Ich trete vor, um es besser sehen zu können. Gristles Kopf fährt herum, und sein Körper folgt ihm. Ohne Bellen und Knurren geht er sofort auf mich los. Ich strecke mit beiden Händen den Baseballschläger aus, und er verbeißt sich darin statt in meiner Kehle. Ich höre, wie das Holz unter seinen Kiefern splittert. Das Gewicht des Hundes wirft mich zu Boden. Er stürzt sich auf mich, schüttelt wie wild den Kopf, um mir den Schläger zu entreißen, und zerkratzt mit seinen Vorderpfoten meinen ungeschützten Bauch. Ich reiße den Schläger nach oben, und der Hund wirbelt durch die Luft. Jetzt habe ich das dicke Ende des Schlägers in der Hand und er den dünnen Griff im Maul. Der Bastard kann ihn jede Minute durchbeißen und dann wieder auf meinen Hals losgehen. Ich rolle mich zur linken Seite und werfe den Schläger samt Gristle nach rechts. Der Köter überschlägt sich und rutscht ein paar Meter durch den Dreck. Ich rolle mich ab, rapple mich auf und renne los. Der Hund verfolgt mich und erwischt meinen Fuß, als ich gerade auf den Turm springen will. Glücklicherweise kann ich ihn abschütteln, bevor er meine Achillessehne durchnagt.
    Und jetzt sitze ich auf dem verdammten Turm, während der Hund unter mir ungeduldig hin und her schleicht und gelegentlich einen Sprung nach mir wagt. Alles völlig lautlos.
    Ich bin kein großer Tierfreund. Hunde, Katzen, Streifengnus – ich kann sie alle nicht leiden. Aber einen Vorteil haben sie gegenüber den Menschen: Sie verhalten sich ihrer Natur gemäß. Fressen, wenn sie Hunger haben, schlafen, wenn sie müde sind, ficken, wenn sie geil sind. Sie beschützen ihre Freunde und töten ihre Feinde. Ich will diesem Hund wirklich nichts antun – ich hätte ja schließlich

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