Stadt Aus Blut
hier alles mit schwarzem Tuch verhüllt, die Hälfte der Gäste eingeschlossen. Auf einer Bühne zieht ein Fetischistenpaar eine recht zahme SM-Show ab. Der Mann ist an ein großes rostiges Stahl-X gefesselt und bis auf einen schwarzen Ledertanga nackt. Seine Partnerin trägt die obligatorischen hohen Stiefel und ein Korsett. Sie befestigt Quetschklemmen, die mit einer Autobatterie verbunden sind, an seinen Brustwarzen. Jedes Mal, wenn er vergisst, sie »Herrin« zu nennen, fängt er sich einen Stromschlag ein. Also eigentlich die ganze Zeit über. Scharf, oder? Unter Umständen – wären sie nicht beide schon eher ältere Semester und außerdem übergewichtig. Trotzdem haben sie die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums. Da soll einer sagen, ihr Manager wüsste nicht, was er tut.
Um die Bühne herum stehen die Grufties der neuen Generation in Latex und Nieten. Die der alten Schule finden sich in der anderen Ecke des Raums. Sie lauschen der Musik und lassen Flaschen mit illegalem Absinth kreisen, die irgendein Typ aus Brasilien mitgebracht hat. Diese Typen stehen mehr auf Seide und Spitze und eine gute Dosis Leder. Und jeder einzelne von ihnen trägt seine heißgeliebte, signierte Ausgabe von Interview mit einem Vampir an seiner Brust. Das sind diejenigen, die wirklich auf Vampire und den ganzen Untoten-Kram stehen. Die Hälfte von ihnen hat einen eigenen Sarg und die andere spart darauf hin. Sie glauben, dass das Vampirleben so wie in dem Film Begierde ist. Also haufenweise Sex mit Catherine Deneuve, Susan Sarandon und David Bowie. Genau das macht sie zur idealen Beute für den gewöhnlichen, nicht allzu wählerischen Vampyr. Jeder von ihnen will verwandelt werden. Leider wissen sie einen Scheißdreck darüber, wie es einem mit der Zeit auf die Eier gehen kann.
Ich hole mir ein Bier und beobachte die Menge. Vielleicht hat Lep ja recht, und Amanda hat den Gruftie-Look wirklich aufgegeben. Ich verlasse die Theke und dränge mich durch den Raum zu einer Handvoll Grufties mit Kabuki-Make-up, die von der Größe her hinkommen könnten. Ein Blick aus der Nähe belehrt mich eines Besseren. Eine weitere halbe Stunde warte ich ab und behalte den Eingang im Auge. Nichts tut sich. Reine Zeitverschwendung. Ich kann ja schlecht das Foto herumzeigen oder Flyer verteilen – das hätten sich Predo und Marilee Horde bestimmt nicht unter einer diskreten Vorgehensweise vorgestellt. Noch eine kurze Runde durch das Untergeschoss, dann werde ich verschwinden.
Das Untergeschoss des Realm ist ein düsterer Kaninchenbau voll kleiner Räume, die verschiedenen Themen gewidmet sind. Der viktorianische Raum mit alten Sofas und schäbigen Beistelltischen wird von Öllampen beleuchtet. Daneben ist der Mörderraum, der wie eine Spießerküche eingerichtet ist, plus Kunstblut an Wänden und Decke und den Umrissen von Körpern auf dem Boden. Dann gibt es noch das Verlies, die Gummizelle und das Labor des verrückten Wissenschaftlers. Ich werfe in jeden Raum einen kurzen Blick. Grufties aus Long Island sitzen an einem Resopaltisch im Mörderraum und spielen Koma-Saufen. Im Verlies ist eine heftige Diskussion über das Für und Wider von Flagellation entbrannt. Und so weiter und so fort. Ich verlasse die Gummizelle, in der gerade ein Typ von seinen Freunden eine Zwangsjacke verpasst bekommt, und gehe in Richtung Treppe. Zeit, abzuhauen.
Ich sehe einen weißen Schatten in meinen Augenwinkeln und drehe mich um. Nichts. Plötzlich steht er direkt vor mir und versperrt mir den Weg.
Schielende Augen starren mich durch schmutzige Brillengläser an.
– Alles in Ordnung, Simon?
Ich grunze.
– Ich fragte, ob alles in Ordnung ist? Simon?
– Ja. Alles klar.
Verflucht. Ich hasse es, wenn ich mit meinem richtigen Namen angesprochen werde.
Ich mustere ihn genauer. Er ist fast so groß wie ich, aber so blass und dünn wie ein Krebspatient mit AIDS und einer schweren Heroinsucht. Er trägt weite, weiße Kleidung und hat seinen Schädel kahl rasiert. Ich weiß nicht, wie er heißt. Ich kenne ihn überhaupt nicht. Aber ich weiß, wo er herkommt und zu wem er gehört. Weil er meinen richtigen Namen kennt. Diese Arschlöcher wissen immer deinen richtigen Namen. Ich umrunde ihn und gehe die Treppe hinauf. Er folgt mir.
– Alles in Ordnung bei dir, Simon?
– Ja, verdammte Scheiße. Hörst du jetzt auf, mich so zu nennen?
– Verzeihung, Joe.
Ich schlängle mich zum Ausgang durch und gehe in eine Seitenstraße. Das Skelett hängt mir an den
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