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Stadt aus Glas

Titel: Stadt aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Ich weiß, daß ich noch der Marionettenjunge bin. Dagegen ist nichts zu machen. Nein, nein. Nicht mehr. Aber manchmal denke ich, ich werde endlich erwachsen und wirklich werden.
    Vorerst bin ich noch Peter Stillman. Das ist nicht mein richtiger Name. Ich kann nicht sagen, wer ich morgen sein werde. Jeder Tag ist neu, und jeden Tag werde ich neu geboren. Ich sehe Hoffnung überall, sogar im Dunkeln, und wenn ich sterbe, werde ich vielleicht Gott.
    Es gibt noch viel mehr Wörter zu sagen. Aber ich glaube nicht, daß ich sie sagen werde. Nein. Nicht heute. Mein Mund ist jetzt müde, und ich denke, es ist Zeit für mich zu gehen. Natürlich weiß ich nichts von der Zeit. Aber das spielt keine Rolle. Für mich. Ich danke Ihnen sehr. Ich weiß, Sie werden mir das Leben retten, Mr. Auster. Ich zähle auf Sie. Das Leben kann so lange dauern, Sie verstehen. Alles andere ist im Zimmer, mit der Dunkelheit, mit der Sprache Gottes, mit Schreien. Hier bin ich ein Teil der Luft, etwas Schönes, worauf das Licht scheinen kann. Vielleicht werden Sie sich das merken. Ich bin Peter Stillman. Das ist nicht mein richtiger Name. Ich danke Ihnen sehr.«

3

    Die Rede war vorüber. Wie lange sie gedauert hatte, vermochte Quinn nicht zu sagen. Denn erst jetzt, nachdem die Worte geendet hatten, wurde ihm bewußt, daß sie im Dunkeln saßen. Offenbar war ein ganzer Tag vergangen. Irgendwann während Stillmans Monolog war die Sonne im Zimmer untergegangen, aber Quinn hatte es nicht bemerkt. Nun konnte er die Dunkelheit und die Stille fühlen, und der Kopf summte ihm davon. Mehrere Minuten vergingen. Quinn dachte, daß es nun vielleicht an ihm war, etwas zu sagen, aber er konnte dessen nicht sicher sein. Er hörte Stillman auf seinem Platz ihm gegenüber schwer atmen. Andere Geräusche gab es nicht. Quinn konnte nicht entscheiden, was er tun sollte. Er dachte an mehrere Möglichkeiten, aber dann gab er eine nach der anderen wieder auf. Er saß in seinem Sessel und wartete, was als nächstes geschehen werde.
    Das Geräusch von Beinen in Strümpfen, die sich durch das Zimmer bewegten, unterbrach endlich die Stille. Das metallische Klicken eines Lampenschalters, und plötzlich war das Zimmer von Helle erfüllt. Quinns Augen wandten sich automatisch der Lichtquelle zu, und neben einer Tischlampe links von Peters Sessel sah er Virginia Stillman. Der junge Mann starrte geradeaus vor sich hin, als schliefe er mit offenen Augen. Mrs. Stillman beugte sich hinüber, legte Peter den Arm um die Schultern und sprach leise in sein Ohr.
    »Es ist jetzt Zeit, Peter«, sagte sie. »Mrs. Saavedra wartet auf dich.«
    Peter blickte zu ihr auf und lächelte. »Ich bin voller Hoffnung«, sagte er.
    Virginia Stillman küßte ihren Mann zärtlich auf die Wange. »Sag Mr. Auster auf Wiedersehen.«
    Peter stand auf. Oder vielmehr, er nahm das traurige, langwierige Wagnis auf sich, seinen Körper aus dem Sessel zu manövrieren und sich auf die Füße zu stellen. In jedem Stadium gab es Rückfälle, Rückschläge, Zusam­menbrüche, begleitet von plötzlichen Anfällen von Bewe­gungslosigkeit, Grunzlauten und Wörtern, deren Sinn Quinn nicht zu entziffern vermochte.
    Endlich hatte sich Peter aufgerichtet. Er stand mit triumphierender Miene vor seinem Sessel und sah Quinn in die Augen. Dann lächelte er breit und unbefangen.
    »Auf Wiedersehen«, sagte er.
    »Auf Wiedersehen, Peter«, sagte Quinn. Peter winkte mit einer kleinen spastischen Handbewegung, dann wandte er sich langsam um und ging durch das Zimmer. Er taumelte, hing zuerst nach rechts, dann nach links über, und seine Beine bogen sich auseinander und schlugen zusammen. Am anderen Ende des Zimmers stand in einem hellen Türrahmen eine Frau mittleren Alters in einer weißen Schwesterntracht. Quinn nahm an, daß dies Mrs. Saavedra war. Er folgte Peter Stillman mit den Blicken, bis der junge Mann durch die Tür verschwunden war.
    Virginia Stillman setzte sich Quinn gegenüber in den Sessel, den ihr Mann gerade verlassen hatte.
    »Ich hätte Ihnen das alles ersparen können«, sagte sie, »aber ich dachte, es ist das beste für Sie, wenn Sie es mit eigenen Augen sehen.«
    »Ich verstehe«, sagte Quinn.
    »Nein, das glaube ich nicht«, sagte die Frau bitter.
    »Ich glaube nicht, daß das irgend jemand versteht.«
    Quinn lächelte überlegen und beschloß, den Sprung zu wagen. »Was immer ich verstehe oder nicht verstehe, dürfte unerheblich sein«, sagte er. »Sie haben mich beauftragt, eine Arbeit zu erledigen, und

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