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Stadt aus Sand (German Edition)

Stadt aus Sand (German Edition)

Titel: Stadt aus Sand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierdomenico Baccalario , Enzo d'Alò , Gaston Kaboré
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hörte, drehte sie sich auf der Stelle um. Sie hatte in der Nacht nicht gut geschlafen, und in ihrem Kopf ging alles wild durcheinander. Deshalb vergaß sie für einen Moment, dass sie auf einem Stein balancierte und den Zipfel eines großen Tuches in der Hand hielt, das sie zusammen mit Frau Karembé wusch.
    »Pass auf!«, schrie die, »sonst zerreißen wir noch den Stoff.«
    Im gleichen Moment riss das Tuch mit einem lauten Ratsch.
    »Bei Amma! Was habe ich getan, so ein Unglück«, entschuldigte sich Rokia und legte entsetzt die Hände über ihre großen Ohren. »Es tut mir leid! Das wollte ich nicht!«
    Frau Karembé fing an zu schimpfen, doch Rokia hörte es schon nicht mehr, denn Yatoyé rief immer noch von der anderen Seite des Baches nach ihr.
    »Hier bin ich«, antwortete sie und wiederholte: »Hier bin ich!«
    Yatoyé kletterte geschickt wie eine Gazelle über die Steine, auf denen sich die sauberen Wäschestücke türmten, und ging zu Rokia, die neben dem zerrissenen Tuch stand, während Frau Karembé sie immer noch wegen ihrer Tollpatschigkeit ausschimpfte.
    »Rokia! Ich habe dich schon überall gesucht!«, keuchte die hübsche Yatoyé mit dem hässlichen Beinamen Stocksteifer Rücken.
    »Schau, wie dumm ich bin! Was habe ich bloß angestellt!«
    »Und was du angestellt hast!«, betonte Karembé und hielt die Reste des Tuches hoch. »Na, mein Mann wird mir vielleicht was erzählen!«
    Alle Frauen beobachteten inzwischen die Szene. Yatoyé packte Rokia am Arm und empfahl ihr: »Lass alles stehen und liegen! Du sollst sofort ins Dorf kommen!«
    Rokia schoss sofort eins durch den Kopf: »Was haben meine Brüder schon wieder angestellt?«, fragte sie.
    »Sie haben nichts damit zu tun. Hast du es noch nicht gehört?«
    »Was gehört?«
    »Komm schon, Yatoyé, erzähl!«, ermunterte sie eine alte Frau, die nur noch zwei wackelige Zähne im Mund hatte.
    »Arme Karembé! Wir waren den ganzen Morgen hier! Wie sollen wir da etwas wissen?«
    »Dein Großvater …«, sagte Yatoyé atemlos, »… er geht weg.«
    Rokia riss die Augen weit auf vor Überraschung. »Er geht weg?«
    »Ja, er will aufbrechen!«
    »Was meinst du mit … aufbrechen?«
    »Seit Stunden sitzt er mit den anderen Dorfältesten im Togu-na «, erzählte Yatoyé und sah abwechselnd Rokia, Frau Karembé und die zahnlose Alte an, die neugierig näher gekommen war. »Und er hat gesagt, er würde das Dorf verlassen.«
    »Warum das denn?«
    »In der Stadt Tamanè findet ein Wettstreit der Geschichtensänger statt. Ein sehr wichtiger Wettstreit, der den Beginn des Jahres des großen Sigi -Festes einläutet.«
    »Aber es ist doch noch zu früh für das Sigi -Fest!«, widersprach eine andere Frau und gesellte sich zu den vieren.
    »Was weißt du denn darüber? Du bist zu jung, um bei bestimmten Dingen mitreden zu können«, fuhr sie die zahnlose Alte an. Und die anderen wagten nicht, ihr zu widersprechen, schließlich hatten nur wenige aus dem Dorf schon einmal ein Sigi -Fest erlebt. Die Alten erzählten, dass dieses Fest nur alle sechzig Jahre stattfand.
    Rokia traute ihren Ohren nicht. Und das hatte nichts mit dem Sigi -Fest zu tun.
    Wollte Großvater wirklich das Dorf verlassen, um an dem Wettstreit der Geschichtensänger teilzunehmen?
    Wann hatte er dies beschlossen? Und warum hatte er nicht vorher mit ihr darüber geredet?
    »Weiß meine Mutter Bescheid?«, fragte sie Yatoyé und nahm ihre Hände.
    Das Mädchen mit den Gazellenbeinen nickte. »Sie hat mir ja gesagt, ich soll dich suchen.«
    »Wo ist sie?«
    »Sie sind alle auf dem Dorfplatz, vor dem Togu-na der Ältesten.«

    Das Togu-na der Ältesten stand genau in der Mitte des Dorfplatzes.
    Es war ein massiver Holzbau aus vielen dicken Baumstämmen, die ein Flachdach stützten, unter dem die alten Männer zusammenkamen, um die wichtigsten Entscheidungen für die Dorfgemeinschaft zu besprechen. Dort redete man dann im Sitzen miteinander, denn das Togu-na war so niedrig, dass man nirgendwo stehen konnte.
    In die äußeren Pfähle hatte man magische Figuren von Männern und Frauen eingeschnitzt, heilige Tiere schmückten die Balken in einer symbolischen Anordnung, die nur der Hogon des Dorfes zu deuten wusste. Für alle anderen, besonders für die, denen der Zutritt zum Togu-na verboten war, sollten diese Figuren einfach nur die Worte Ammas und seine Weisheit beschützen und bewahren. Während wichtiger Besprechungen durfte niemand eintreten und die Versammlung unterbrechen, doch beinahe alle Bewohner

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