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Stadt aus Sand (German Edition)

Stadt aus Sand (German Edition)

Titel: Stadt aus Sand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierdomenico Baccalario , Enzo d'Alò , Gaston Kaboré
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immer verschlungenere kleine Gassen. Rokia vermied es möglichst, in das Innere der Häuser zu schauen und die Gerüche wahrzunehmen, die von dort herausdrangen.
    Dann kam sie unvermittelt auf die Hauptstraße, wo sie wieder auf das gewohnte Chaos von Verkaufsständen und Marktleuten traf.
    Der Palast lag immer noch riesig und unerreichbar vor ihr.
    »Ich bin ein Löwe! Ich bin ein Löwe!«, schrie ein Papagei, als Rokia an ihm vorbeiging.
    Das Mädchen lächelte ihm zu. Denn sie hatte noch nie einen Vogel gesehen, der sprechen konnte und dann auch noch Lügen erzählte.
    Vielleicht war ja auch die Geschichte von den Tierhändlern, die den Palast betraten und nie wieder herauskamen, eine Lüge. Ein guter Weg, ihr Angst einzujagen und sie davon abzuhalten, dorthin zu gehen und mit dem Fürsten zu sprechen!
    Mitten in dem Menschengewühl entdeckte Rokia die weiße Sänfte, die sie am Morgen in der Warteschlange vor dem südlichen Stadttor gesehen hatte. Die vier Träger mit nackter Brust und gleichmütigen Gesichtern trugen sie zum Palast des Fürsten.
    Rokia beschloss, ihr zu folgen, da sie hoffte, dass in dieser Sänfte eine wichtige Persönlichkeit transportiert wurde, der sich vielleicht alle Türen öffnen würden.
    »Ich komme, Großvater!«, sagte Rokia zu sich selbst wie ein Versprechen und war davon überzeugt, dass auch diese Begegnung kein Zufall war.
    Sie ging fast die ganze Allee entlang, bis sie an den Fuß der kleinen Anhöhe kam, auf der der Palast erbaut war. Hier war die Luft warm und voller Sand, der direkt von den Mauern abzubröckeln schien. Eine Freitreppe mit riesigen Stufen führte zu einem der Palasteingänge. Über ihr brannten zwölf majestätische Kohlebecken neben dem Tor. Gerade kam ein Heer von Wächtern auf Dromedaren mit dunkelblauem Zaumzeug herausgeritten.
    Rokia sah, wie sie einer nach dem anderen ihre Fackeln an den Kohlebecken entzündeten, bevor sie in die Straßen der Stadt aus Sand eintauchten und sich langsam entfernten.
    Ein Schauer lief ihr den Rücken hinab.
    Die Torflügel am oberen Ende der Treppe waren mit Stoßzähnen und schwarzen Eisenstäben bewehrt. Sie standen zwar weit offen, aber es schien Rokia nicht angebracht, einfach so in den Palast zu spazieren.
    Was sollte sie jetzt tun?
    Die weiße Sänfte war in ein schattiges Gässchen abgebogen. Rokia folgte ihr. Sie befand sich immer noch ganz in der Nähe des Palastes, aber nun entfernte sie sich langsam davon und kam in ein Viertel der Stadt, in dem es ruhiger und die Luft wesentlich frischer war.
    Hier begegneten ihnen nur wenig Personen, die sich nachdenklich oder ergeben dicht an den Mauern hielten. Der Boden aus gestampfter Erde schien erst vor kurzem gefegt worden zu sein. Irgendwo bimmelten Glöckchen, und Rokia hörte Stimmen, die einander zuzuraunen schienen: »Der Seelentrödler! Der Seelentrödler!«

    Über das letzte Gässchen spannte sich ein Dach aus durchbrochenem Holz. Es endete an einer breiten Wendeltreppe, die zu einem Platz hinunterführte, der im Schatten der umstehenden Häuser lag. Die angenehme Kühle, die Rokia schon gespürt hatte, als sie in das Gässchen eingebogen war, machte sich jetzt noch stärker bemerkbar. Das lag wohl auch an den Kletterpflanzen, die sich an den Fassaden der Gebäude emporrankten.
    In der Mitte des kleinen Platzes bildeten schmiedeeiserne Bögen eine Art Pagode, auf deren oberem Rand Dutzende kleiner Kerzen brannten. Im Laufe der Jahre hatte das herabtropfende Wachs so etwas wie einen Wasserfall gebildet. Vom nackten Gerüst der alten Pagode hingen einige Fähnchengirlanden zitternd wie Spinnweben herab.
    Alle Fenster, die auf den Platz gingen, standen offen, doch die Menschen dahinter schauten so ernst, als litten sie an einer unaussprechlichen Krankheit oder hätten einfach die Freude am Leben verloren. Zwischen den immergrünen Blättern verborgen, funkelten viele Augen in banger Erwartung. Keiner schien den anderen zu beachten.
    Rokia kam sich vor wie auf einem Geheimtreffen von stummen Geistern. Sie versteckte sich ein wenig abseits hinter den Blättern der Kletterpflanzen und beobachtete, was weiter geschah.

    Am Fuß der Treppe stand ein altes gepanzertes Fahrzeug der Vereinten Nationen, vollbeladen mit Körben, aus denen Stroh hervorquoll. Es war mit Gurten und einem Zuggeschirr umgerüstet worden, so dass es nun von einem Nashorn mit einem goldenen Horn gezogen werden konnte. Vor dem Fahrzeug lag ein staubiger Läufer aus geflochtenen Kokosfasern, der fast

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